PB3C News

Eine beherzte Zinswende ist in Europa nicht in Sicht

29. Mai 2022

Lahcen Knapp  |  Empira

Am Kapitalmarkt zeichnet sich ein Wandel ab. Das ist wohl jedem Marktteilnehmer allerspätestens durch die kürzlich erfolgte historische Zinsanhebung um 50 Basispunkte durch Fed-Präsident Jerome Powell klar geworden. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat bisher zwar keine eigenen Zinsschritte vorgenommen, entsprechende Pläne für das Q3 2022 aber bereits kommuniziert. Sowohl die Auswirkungen der amerikanischen Zinswende als auch die Erwartungen an die EZB sind in Europa bereits zu spüren: Zehnjährige Bundesanleihen notieren erstmals seit drei Jahren nominal im Plus, die Spreads zu südeuropäischen Staatsanleihen sind ebenfalls gestiegen, Finanzierungskosten gerade im Immobilienbereich sind deutlich höher. Ist das eine Rückkehr zur Normalität – auch an den europäischen Immobilienmärkten?

Bestenfalls in Trippelschritten. Die Lage im Euroraum ist mit der in den USA nicht zu vergleichen. Dort gab es keine negativen Real- oder gar Nominalzinsen über einen längeren Zeitraum, wie es in großen Euro-Ländern jahrelang der Fall war und ist. Auch negative Einlagen- oder Strafzinsen gab es dort nie. Gleichzeitig ist das Wachstumspotenzial höher: Das US-amerikanische Bruttoinlandsprodukt legte im vergangenen Jahr um 5,7 % zu, allein im Q4 2021 um 6,9 %. Dieses Wachstum fängt selbst die seit 40 Jahren in diesem Maße nicht mehr dagewesene Inflation auf. Deshalb kann es sich die Fed auch leisten, die Kapitalkosten für die US-Wirtschaft zu erhöhen, um entschieden gegen die Inflation anzukämpfen. Damit stellt sie die wirtschaftliche Stärke unter Beweis.

Anders die EZB: Sie kann gar nicht anders, als geldpolitisch allenfalls etwas Gas wegzunehmen, anstatt entschlossen auf die Bremse zu treten. Schuld daran sind die massive Ausweitung der Geldmenge und die Schuldenlast der Euro-Staaten. Die EZB könnte, selbst wenn sie es wollte, den Leitzins nicht so deutlich erhöhen wie die Fed, da in der Folge der aufkeimende Aufschwung nach Corona ausgebremst würde und die öffentlichen Haushalte massiv zu leiden hätten. Das gilt übrigens nicht nur für Griechenland oder Italien – auch in Deutschland gäbe es ein böses Erwachen, müsste die öffentliche Hand ihre Schulden plötzlich wieder nennenswert verzinsen.

Alles, was Bürgern und Unternehmen in Europa bleibt, ist das Aushalten des durch die hohe Inflation weiter sinkenden Realzinses. Diese finanzielle Repression macht für Kapitalanleger Sachwertanlagen wie Immobilien zum Schutz gegen hohe Inflation sowie innovative Anlagealternativen mit hohen Renditen unverzichtbar. Ein Beispiel hierfür sind Real-Estate-Debt-Instrumente, also Kapitalanlagen zur Immobilienfinanzierung vor allem im Mezzanine-Bereich. Die können auch inflationsbereinigt noch deutlich positive Renditen erzielen.

Eine weiter steigende Nachfrage nach Immobilien und anderen Sachwerten treibt deren Preise. Folglich handelt es sich hierbei nicht um Blasenbildung, sondern um natürliche Marktmechanismen. Und da mit einer beherzten Zinswende zumindest im Euroraum nicht zu rechnen ist, ist auch kein nennenswerter Abwertungsdruck bei diesen Assets zu erwarten. Hinzu kommt ein weiterer, leider wenig beachteter Punkt: Europas Banken leiten die Liquiditätsschwemme nicht mehr dorthin weiter, wo sie den größten Nutzen stiften würde, zum Beispiel in die Projektentwicklung. Die Bankenregulierung – unter anderem Basel III – hat einen Flaschenhals geschaffen. Doch statt diesen zu beseitigen, kippt die EZB immer mehr Liquidität nach – und wundert sich am Ende über die Inflation.

Dieser Artikel erschien am 25.5. in der HANDELSBLATT INSIDE REAL ESTATE.

Haben Sie Anmerkungen oder Fragen? Dann schreiben Sie an die Leiter unserer Redaktion Jan Döhler und Kai Gutacker.