Die ideale Kundenreise ist digital und persönlich
24. Nov 2023
24. Nov 2023
Komplexere Anlagewelt erfordert mehr Beratung – persönliches Gespräch schafft Vertrauen und Verbindlichkeit – hybride Beziehung zum Bestandskunden.
Welcher Privatanleger braucht eigentlich noch die klassische Anlageberatung seiner Bank oder Sparkasse? Einen Vertriebspartner aus Fleisch und Blut? Seit dem Aufkommen der Internet-Direktbanken in den 1990er-Jahren stellt sich die Finanzbranche diese Frage mal mehr und mal weniger laut. Dutzende FinTechs und Robo-Advisors sind seither mit dem Anspruch angetreten, die Anlageberatung grundlegend zu revolutionieren, zu digitalisieren und den breiten Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) in Banken voranzutreiben.
Zumindest für den Bereich der alternativen Investmentfonds (AIF) jedoch lässt sich feststellen: Die Anlageberater sind noch da – und sorgen bei vielen Produkten für das Gros des Absatzes. Das wird sich so schnell auch nicht ändern. AIF sind „Beratungsprodukte“, zum Teil auch aus regulatorischen Gründen. Das bedeutet aber nicht, dass die Digitalisierung spurlos am Fondsvertrieb vorbeiginge.
Die Beratung und der Vertrieb von Anlageprodukten wie AIF ist ein mehrstufiger Prozess mit mehr oder weniger stark digitalisierten Elementen. An dessen Kernprozess, der eigentlichen Beratung und der anschließenden Unterschrift am Point-of-Sale, führt am persönlichen Gespräch durch den Finanzberater des Vertrauens nach wie vor kein Weg vorbei. Stellenweise wird dieses sogar immer wichtiger. Die sinnvolle und kundenorientierte Verknüpfung digitaler und persönlicher Elemente im Prozess wird somit aktuell zum Erfolgsfaktor.
Fülle an Pflichten wächst
Denn die Welt der Kapitalanlage wird für Privatanleger immer komplexer. Es gibt immer mehr und immer differenziertere Produkte, neue Strukturen wie den European Long-Term Investment Fund (ELTIF) oder das offene Infrastruktur-Sondervermögen, und es gibt immer mehr regulatorische Vorgaben.
Die Fülle an Informations- und Dokumentationspflichten wächst unaufhörlich. Jüngstes Beispiel ist die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen: Seit etwas mehr als einem Jahr müssen Privatanleger im Beratungsgespräch gefragt werden, wie wichtig ihnen das Thema Nachhaltigkeit bei der Kapitalanlage ist – neben den bisherigen Anlagezielen Risikotoleranz, Anlagedauer und Anlagezweck.
Diese Dokumentationen und Abfragen könnten natürlich ebenso wie der Abschluss durch eine digitale Abfrage- beziehungsweise Zeichnungsstrecke absolviert werden. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass viele Anleger (noch) davor zurückschrecken, sich seitenweise durch Fondsinformationen zu klicken, um am Ende Empfang und Kenntnisnahme des „Kleingedruckten“ zu bestätigen sowie die Abfragen zu tätigen. Die Nachweise über die Finanzkompetenz sowie die finanziellen Verhältnisse und die Verlusttragfähigkeit sind außerhalb eines persönlichen Gesprächs bei einer Bank ebenfalls schwer zu erbringen. Somit verbleiben weiterhin diverse Hürden für die Akzeptanz und Umsetzung einer rein digitalen Vertriebsstrecke.
Hinzu kommt: Gerade wenn größere Geldbeträge angelegt werden sollen, suchen viele Privatanleger eben doch das vertrauensvolle – und ergebnisoffene – Gespräch mit einem Anlageberater. Denn oftmals steht ja zu Beginn noch gar nicht fest, welches Produkt am Ende überhaupt infrage kommt. Ein persönliches Gespräch mit einem Kompetenzträger vermittelt mehr Vertrauen und Verbindlichkeit, als sich durch eine Online-Vertriebsstrecke zu klicken.
Nicht nur der Anleger, auch der Vertriebspartner selbst informiert sich vor und während des Beratungsprozesses über digitale Kanäle und ist entsprechend vorbereitet. Und selbstverständlich laufen sämtliche Backoffice-Prozesse mit digitaler Unterstützung.
Das ist im Übrigen keine Generationenfrage, das erleben wir gerade auch bei den jüngeren Anlegern, die oftmals noch nicht so erfahren sind in Fragen zur Geldanlage und Altersvorsorge. Kurzum: Eine rein digitale Vermittlung von Beratungsprodukten wie Sachwertefonds würde auch ohne regulatorische Hürden von den Anlegern kaum angenommen werden. Anders sieht es aus mit einzelnen Teilelementen des gesamten Vermittlungsprozesses, die über das eigentliche Beratungsgespräch hinausgehen und zum Teil immer stärker digitalisiert werden.
Anleger sind gut vorbereitet
Das beginnt damit, dass die meisten Anleger heutzutage gut vorbereitet in ein Beratungsgespräch gehen. Sie haben sich vorher eingängig über unterschiedliche Quellen hinsichtlich der verschiedenen infrage kommenden Produkte informiert und ihre Auswahl aufgrund persönlicher Präferenzen eingegrenzt. Diese Quellen reichen klassisch von den Fonds- und Marketingunterlagen über Ratschläge von Verbraucherschützern oder Freunden sowie Fachartikel bis hin zu Testimonials, die „Finfluencer“. Oftmals erfolgt auch bereits ein digitaler Erstkontakt mit der beratenden Bank, dem Berater oder dem Fondshaus, zum Beispiel über Chatbots.
Das Beratungsgespräch selbst läuft ebenfalls in großen Teilen mit digitaler Unterstützung ab. Dokumente können heutzutage am Tablet gesichtet, unterzeichnet und den gesetzlichen Anforderungen entsprechend umgehend archiviert werden. Nicht nur der Anleger, auch der Vertriebspartner selbst informiert sich vor und während des Beratungsprozesses über digitale Kanäle und ist entsprechend vorbereitet. Und selbstverständlich laufen sämtliche Backoffice-Prozesse mit digitaler Unterstützung und dank entsprechender Schnittstellen weitestgehend ohne Medienbrüche ab.
Differenziert betrachten
Alle administrativen Aspekte im Bestandkundenmanagement, vom Kauf bis zum Verkauf, werden heutzutage überwiegend digital abgewickelt. Die Zusendung von Berichten, die Abwicklung der Ausschüttungen oder die Informationen zu Neuigkeiten aus dem Fonds laufen in der Regel vollständig über ein digitales Frontend bei der Fondsgesellschaft oder der Depotbank ab, über das der Anleger jederzeit den Status quo seines Investments einsehen kann. Doch auch hierbei sind laufende persönliche Beratungsgespräche aufgrund der volatilen und komplexen Produkt- und Marktgegebenheiten essenziell, insbesondere sobald größere Portfolioanpassungen anstehen.
Die ideale Customer Journey in der Anlageberatung ist also weder rein digital noch vollständig analog, sondern hybrid. Die entscheidende Frage lautet: Wie kommt das richtige Produkt zum Kunden? Die Antwort heißt: nur durch gute, kompetente und überzeugende persönliche Beratung. Denn auch bei gleichen Fondshüllen sind die Produkte bis auf jedes einzelne Asset, das Management und ihre Philosophie differenziert zu betrachten.
Dieser Artikel erschien am 15.11.2023 in der Börsen-Zeitung.
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