Der deutsche Pflegemarkt ist zu unberechenbar geworden
16. Feb 2024
16. Feb 2024
Immer mehr Pflegeheimbetreiber melden Insolvenz an. Die Probleme sind teils hausgemacht, teils die Folgen einer langsamen Reaktion aus der Politik. Kurzfristig sind neue Projektentwicklungen deswegen oft schwierig. Das Positive: Langfristig gibt es viele gute Gründe für Optimismus für Investoren. Die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland wird gesichert in den kommenden Jahren immer weiter steigen. Damit werden zukünftig Investitionen in Pflegeheime immer mehr eine Anlage in eine kritische Infrastruktur, die von einem breiten öffentlichen Interesse gestützt wird.
Zahlen lügen nicht. Bereits ein kurzer Blick auf 2023 reicht aus, um zu erkennen: Es war das Jahr der Pleiten und Insolvenzen im Pflegesektor. Allein bis September 2023 sind nach Angaben des Fachportals pflegemarkt.com 112 Unternehmen unterschiedlicher Trägerschaften in die Insolvenz gegangen. Von diesen Insolvenzverfahren betroffen sind rund 300 Häuser mit insgesamt 22.000 Pflegeplätzen sowie 210 Pflegedienste mit 10.500 zu versorgenden Patienten. Bis Ende vergangenen Jahres dürften weitere hinzugekommen sein. Viele der insolventen Betreiber sind an der nicht ausreichenden Refinanzierung der gestiegenen Energie-, Sach- und Investitionskosten sowie der aufgrund des seit 2022 geltenden Tariftreuegesetzes punktuell stark gestiegenen Personalkosten gescheitert.
Erstaunlich: Lange Zeit hat sich die Politik trotz der schwierigen Lage nicht oder kaum gerührt. So wurden zum Beispiel die Investitionskosten-Sätze (IK-Sätze) nicht situationsabhängig angehoben. Das System hat sich in dieser Krisensituation als insgesamt krisenuntauglich und pomadig gezeigt, als es darum ging, auch spontane und heftige Kostensteigerungen zügig eins zu eins zu refinanzieren. Ja, man fragte sich zwischenzeitlich sogar, welchen Stellenwert das Thema überhaupt noch auf der politischen Agenda hat.
Es liegt auf der Hand, dass diese Reaktion der Politik auf die wirtschaftliche Schieflage vieler Pflegeheimbetreiber sich so nicht mehr oft wiederholen können wird. Niemand will eine Dauerkrise in der Pflege. Doch die Politik hat diese Konstellation aus immer mehr Menschen, die versorgt werden müssen, und steigenden Kosten überhaupt noch nicht wahrgenommen und zieht bei der Festsetzung der Refinanzierung gestiegener Kosten nicht nach.
In den kommenden Jahren werden wir erleben, wie der politische Druck der wachsenden Wählergruppe der Pflegebedürftigen und deren Angehöriger die politische Landschaft verändern wird – denn sehr viele Menschen werden unmittelbar davon betroffen sein. Die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland wird gesichert immer weiter steigen. Das besagt beispielsweise die Pflegevorausberechnung des Statistischen Bundesamts. Demnach werden im Jahr 2055 37 Prozent mehr Menschen als heute pflegebedürftig sein – mit entsprechenden Auswirkungen auf die benötigte Anzahl der Pflegeheimplätze. Bereits für 2035 wird ein Zuwachs von 14 Prozent auf etwa 5,6 Millionen Pflegebedürftige erwartet. Nervös kann man angesichts dessen auch deshalb werden, wenn man die Prognosen bezüglich der Beschäftigtenzahlen im Pflegesektor betrachtet: Bis zum Jahr 2049 werden in Deutschland voraussichtlich 280.000 bis 690.000 Pflegekräfte fehlen, so verkündete es kürzlich das Statistische Bundesamt.
Klar ist, dass diese Zahlen auf der einen Seite dramatisch anmuten. Zugleich sind die aktuell unsicheren Rahmenbedingungen und das Agieren der Politik ein Grund für uns, aktuell keine neuen Projektentwicklungen zu beginnen. Wir gehen kein kurzfristiges operatives Risiko ein, da finanzielle Stabilität ein sehr hohes Gut für uns ist.
Auf der anderen Seite sehen wir aber eine große Chance für langfristig orientierte Investoren. Denn gerade die Langfristperspektive und die politische Relevanz offenbaren: Das Thema Pflegeheimplätte und damit Pflegeheimimmobilien ist gekommen, um zu bleiben – und zwar auf Jahrzehnte. Die Investition in Spezial- und Sozialimmobilien wie Pflegeheime wandelt sich zunehmend aufgrund der strukturellen Daten und Fakten in eine höchst umsichtige Investition in eine grundlegend unverzichtbare soziale Infrastruktur in unserem Land – zu vergleichen mit Investitionen in die kommunale Daseinsvorsorge oder Energieinfrastruktur. Pflegeheim-Investoren werden mit Blick auf den zukünftigen Markt gewissermaßen systemrelevant und unverzichtbar. Voraussetzung: Sie haben sich angesichts der aktuellen Krisen als flexibel, finanzstark und nachhaltig erwiesen und können dadurch Durststrecken wie die derzeitige überstehen.
Weitere Entwicklungen sind bereits absehbar: Die stetig hohe Nachfrage nach Pflegeheimplätzen wird dazu führen, dass alte Heime im Bestand deutlich länger betrieben werden müssen als bislang geplant. Und es wird aus Platz- und Kostengründen eine Renaissance der Doppelzimmer geben. Leider könnten es viele kleine Betreiber und Häuser schwer haben. Allein der Druck hoher Auflagen und bürokratischer Vorgänge ist für kleinere Betreiber kaum zu bewältigen.
Wie kann in der jetzigen Situation und darüber hinaus geholfen werden? Wichtig wäre ein Sofortpaket, das die Liquidität der Betreiber im Bedarfsfall unterstützt. Die meisten Betreiber liegen im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Trockenen, deshalb brauchen sie schnell und unkompliziert eine Kapitalspritze, um den defizitären Zeitraum zwischen Kostensteigerung und (noch) nicht erhöhter Refinanzierung überbrücken zu können. Helfen könnten uns auch mehr Flexibilität bei der Fachkraftquote und eine bundesweit einheitliche Refinanzierungsrichtlinie. Momentan hat jedes Bundesland eigene Regelungen, es handelt sich um einen regelrechten Flickenteppich. Insbesondere für ausländische Investoren ist das nur schwer nachzuvollziehen.
Unser Ansatz: Wir versuchen zu helfen und Betreiber vor der Insolvenz zu bewahren. Betreibern, die in Schieflage geraten, wird unter die Arme gegriffen, sofern es Aussichten auf langfristigen und nachhaltigen Erfolg gibt. Bewährt hat sich mittlerweile auch der Einsatz von Interimsmanagern insbesondere bei Insolvenzen, um den Betrieb, die Pflege und die Arbeitsplätze vor Ort langfristig zu sichern. Insgesamt wären eine Politik und eine Haltung notwendig, die nicht nur die aktuellen Probleme kurzfristig angeht, sondern auch zukünftige Probleme antizipiert – auch, um langfristig Investitionen in den Bau und den Betrieb der dringend benötigten Pflegeheime zu sichern.
Dieser Artikel erschien am 16.02.2024 in der care konkret.
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