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Die Rosinenpicker haben einen Vorteil

12. Jun 2022

Sascha Hertach  |  Arbireo

Wohnimmobilien in Deutschland sind für viele professionelle Investoren derzeit das Asset der Wahl. Das Rekordtransaktionsvolumen von rund 50 Mrd. Euro am deutschen Wohnimmobilienmarkt im vergangenen Jahr spricht eine deutliche Sprache – selbst wenn man den Anteil von 23,5 Mrd. Euro durch die Übernahme von Deutsche Wohnen durch Vonovia herausrechnet. Das Gros der Transaktionen erfolgte durch Paketankäufe. Anders wäre es gar nicht möglich, in kurzer Zeit größere Bestandsportfolios aufzubauen. Doch jetzt überwiegen zunehmend die Nachteile dieser Strategie.

Im Vergleich zu großen Gewerbeimmobilien sind Wohnimmobilien nahezu granulare Assets: Die kleinste Einheit ist eine Wohnung, selbst ein Wohngebäude hat häufig keine zehn dieser Einheiten. Erst bei einer Gruppe von Wohnhäusern oder einem kleineren Quartier kann man von einer Größenordnung sprechen, die für große institutionelle Investoren tatsächlich relevant wird. Deshalb ist es naheliegend, diese granulare Assetklasse zu größeren Portfolios von mehreren hundert oder gar tausend Einheiten zusammenzufassen – und als großes Gesamtpaket zu behandeln. Die Transaktion beschleunigt sich, der Aufwand reduziert sich, die Transaktionskosten sinken. Und die Risiken eines einzelnen Wohninvestments werden über viele kleine Einzeleinheiten gestreut.

Tatsächlich blieb vielen Investoren in den vergangenen Jahren kaum eine andere Wahl, als auf Portfoliotransaktionen zu setzen. Denn der Markt war derart heiß gelaufen, dass schnelle Entscheidungen getroffen werden mussten, sobald sich neue Gelegenheiten zum Ankauf ergaben – ansonsten kam die Konkurrenz zum Zuge. Dass dabei bisweilen das eine oder andere „faule Ei“ mit in den Korb gelegt wurde, nahm man billigend in Kauf, um die entsprechende Größe zu erreichen.

Diese Rechnung wird aber in vielen Fällen so nicht (mehr) aufgehen. Erstens sind die Ankaufsrenditen in den vergangenen Jahren so stark gesunken, dass es selbst für vermeintlich kleinere Risiken kaum Puffer gibt. Gleichzeitig sind zweitens die Risiken am Wohnungsmarkt deutlich größer geworden. Früher gab es vielleicht mal unvorhergesehenen Reparaturbedarf oder hier und da einen säumigen Mieter. Heute steht angesichts der Debatte um Nachhaltigkeit und Klimaschutz der Begriff der „Stranded Assets“ im Raum: Einige ältere Bestandsgebäude könnten sich schon in wenigen Jahren als wirtschaftlicher Totalschaden entpuppen. Sie sind dann nicht mehr veräußerbar, kaum vermietbar, und eine aufwendige Sanierung lohnt sich betriebswirtschaftlich nicht.

Kleinere Transaktionsmanager sind deshalb im Vorteil: Sie können es sich leisten, Rosinenpickerei zu betreiben und die besten Einzelinvestments auszuwählen – und sie können sich den Luxus gönnen, auch mal „Nein“ zu sagen. Sie haben somit geringere Risiken in ihrem Portfolio, was den höheren Transaktionsaufwand pro Wohneinheit in vielen Fällen aufwiegen dürfte. Das gilt vor allem langfristig, denn die Transaktionskosten fallen nur einmal an, die Risiken aber steigen mit der Dauer der Bestandshaltung.

Alternativen zu Wohnimmobilien als Kapitalanlage sind rar. Der Anlagedruck, möglichst schnell möglichst große Wohnportfolios aufzubauen, dürfte deshalb bis auf Weiteres anhalten – erst recht, wenn aufgrund zunehmender Marktrisiken stärker auf den Diversifikationseffekt gesetzt wird. Deshalb werden viele Investoren und ihre Produktgeber weiterhin auf Portfolioankäufe setzen müssen. Doch ob sie mit dieser Akquisitionsstrategie auf Dauer besser fahren, daran sind in vielen Fällen Zweifel berechtigt.

Dieser Artikel erschien am 10.6. in HANDELSBLATT INSIDE REAL ESTATE.

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