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Nischensegmente – Megatrendfolger statt Zinssubstitute

9. Okt 2022

Axel Vespermann  |  Universal Investment

Sie hat sich Zeit gelassen, doch nun hat auch die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins erhöht – im Juli dieses Jahres um 0,5 Prozentpunkte und am 8. September um weitere 0,75 Prozentpunkte. Damit folgt die EZB dem Beispiel anderer Zentralbanken, die ihre Geldpolitik angesichts des rasanten Inflationsanstiegs ebenfalls angepasst haben. Anleihe- und Kreditzinsen hatten dies bereits vorweggenommen und haben sich seit Jahresanfang deutlich erhöht.

Die Zinswende ist also da und an den Immobilienmärkten bereits spürbar. Dabei ist das Gesamtszenario komplex. Zum einen verteuern steigende Finanzierungskosten die Kreditaufnahme, was zu sinkenden Nettorenditen führen kann. Im Gegenzug bedeutet es das Ende des Negativzinses. Damit steigt das Renditepotenzial der von Investoren vorgehaltenen Liquidität. Von diesem positiven Effekt profitieren wiederum auch Anlagealternativen wie Anleihen, was zu sinkenden Kapitalzuflüssen und negativen Bewertungseffekten an den Immobilienmärkten führen kann. Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, die Ergebnisse der von Universal Investment im Spätsommer 2021 durchgeführten Umfrage unter Anlegern noch einmal zu betrachten und neu zu interpretieren.

Folgen der Zinswende
Zum Zeitpunkt der Umfrage stand die Sorge um die steigende Preisentwicklung insbesondere bei den klassischen Immobiliensegmenten Wohnen, Büro und Einzelhandel im Vordergrund. Auch wenn die Umfrageteilnehmer diesen Aspekt durchaus kritisch sahen, standen Sicherheit und Stabilität unverändert hoch im Kurs, weshalb die Nachfrage in diesen Segmenten trotz möglicher Renditeeinbußen unverändert hoch geblieben ist.

Nun kommen aber noch die eingangs beschriebenen Effekte der Zinswende hinzu: die zunehmende Attraktivität von Anlagealternativen und höhere Kreditzinsen. Letztere können zwar durch positive Zinsen auf Bankeinlagen und indexierte Mietverträge ein Stück weit abgefedert werden. Aber können sie das in dem Maß, in dem die Renditeerwartungen der Anleger steigen?

Fakt ist: Von der Zinswende sind insbesondere jene Immobilien betroffen, die klassischerweise als Zinssubstitute angekauft wurden und in denen die Renditekompression der vergangenen Jahre besonders stark war, zum Beispiel bei Wohnimmobilien in den größten deutschen Städten. Hier ist nun definitiv mit einem Ende der pauschalen Preisanstiege zu rechnen. Doch welche Chancen bieten sich jetzt jenseits der größten etablierten Assetklassen, in Zeiten tendenziell steigender Zinsen? Die Rede ist von Nutzungsarten, die nicht als Zinssubstitut, sondern als strategisches Geschäftsmodell betrachtet werden. Auch dazu liefert die Umfrage interessante Erkenntnisse.

Auf der Suche nach höheren Renditepotenzialen haben sich die Investoren in den vergangenen Jahren verstärkt für neue Segmente und Nutzungsarten interessiert. Wobei „neu“ eher relativ zu verstehen ist. Viele vermeintliche Nischensegmente reüssieren gerade und machen die Unterscheidung zu „etablierten Nutzungsarten“ obsolet. Auch von dem Gedanken, für die attraktiveren Renditechancen ein höheres Risiko in Kauf nehmen zu müssen, kann man sich getrost verabschieden. Logistik-, Sozial- und Gesundheitsimmobilien profitieren nachhaltig von Megatrends wie Digitalisierung, einem veränderten Freizeit- und Einkaufsverhalten und dem demografischen Wandel.

Was durch die Corona-Pandemie einen Schub bekommen hat, wird sich langfristig in einer anhaltend und stabil wachsenden Nachfrage nach diesen Nutzungsarten niederschlagen. Die Tatsache, dass Menschen immer älter werden und länger fit bleiben – der Megatrend „Silver Society“ – weckt bei Investoren ein verstärktes Interesse an Pflegeimmobilien und Seniorenresidenzen, Mikrowohnanlagen und Bildungseinrichtungen, Last-Mile-Logistik und Ärztehäusern. Mit Risiken wie Leerständen oder Mietausfällen sind sie mittlerweile weniger behaftet als etwa der traditionelle stationäre Einzelhandel, der zu den etablierten Nutzungsarten zählt. Zumindest noch.

Dass gerade Gesundheitsimmobilien zur Diversifikation und Renditeoptimierung bei Investoren hoch im Kurs stehen, spiegelten auch die Ergebnisse der Umfrage wider. Im Vergleich zur Vorjahresumfrage ist der Anteil derer, die den Kauf einer Immobilie in diesem Segment planen, von 50 % auf 58 % gestiegen. Beinahe unverändert großer Beliebtheit erfreuten sich Seniorenresidenzen mit 42 %. Noch größere Begehrlichkeiten weckte das Co-Living-Modell, das 50 % der Befragten anvisierten. Im Jahr 2020 waren es hingegen gerade einmal 14 % gewesen.

Das erhöhte Investoreninteresse dürfte auch auf die im Februar dieses Jahres veröffentlichte Struktur einer Sozialen Taxonomie durch die Europäische Union (EU) zurückzuführen sein. Nachdem der Fokus bislang auf dem ökologischen Aspekt von „Environment Social Governance“ (ESG) lag, gewinnt nun auch das „S“ an Bedeutung. Entsprechend wichtig wird es für institutionelle Investoren, soziale Faktoren über Investments transparent zu machen. Eine Gesundheitsimmobilie ist dafür ideal geeignet.

Ein weiterer Gradmesser für das Segment-Upgrade sind die Investmentvolumina. Auch hier sprechen die Zahlen eine klare Sprache. Mit einem Transaktionsvolumen von 3,8   Mrd. Euro im Jahr 2021 konnte der Gesundheitsimmobilienmarkt in Deutschland gegenüber dem Vorjahr um 8 % zulegen. Auf die Frage, wer im Wettbewerb um die Nettospitzenrenditen vorne liegt, lautet die Antwort: Pflegeheime. Trotz eines leichten Rückgangs haben sie mit 3,9 % die Segmente Wohnen (3,1 %) und Büro (2,8 %) hinter sich gelassen und empfehlen sich damit selbst risikoaversen Investoren.

Gesundheitsimmobilien sind ein Paradebeispiel für die Emanzipation der Nische in der Immobilienbranche, aber nicht das einzige. Die „Silver Society“, die zunehmende Bedeutung von Digital Health, verschiedene Zivilisationskrankheiten oder exogene Schocks wie Pandemien sind Treiber für Life-Science-Immobilien. Der sich abzeichnende Boom hat wie so oft seinen Ursprung in den USA. Die Liegenschaften gelten aufgrund ihrer Mischung aus Büro-, Labor- und Lagerflächen als attraktiv. In Deutschland fällt dazu BioNTech ein. Die Gewinnmargen des Impfstoffherstellers, dessen Adresse bezeichnenderweise An der Goldgrube 12 lautet, spülten der Landeshauptstadt Mainz mal eben 1 Mrd. Euro Gewerbesteuer in die klamme Kasse. Das zieht auch Investoren magisch an.

Zu den Nischengewinnern zählen außerdem Logistikimmobilien. Im vergangenen Jahrzehnt hat sich ihre Rolle von der reinen Lagerhalle hin zur Fertigungs- und Distributionsstätte mit hohem Automatisierungsgrad gewandelt. Die durch die Pandemie schlagartig gestiegene Nachfrage nach höheren Lagerhaltungskapazitäten und widerstandsfähigen Supply-Chains wird zukünftig nicht abreißen. Allerdings sind die Preise hier bereits auf einem hohen Niveau.

Auf der Shoppingliste weit nach oben haben es auch Rechenzentren geschafft. Der durch Cloud-Computing, Big Data, Industrie 4.0, das Internet der Dinge (IoT) und E-Commerce erhöhte Bedarf an Rechenleistung muss über Computer-Housing dargestellt werden. Da Rechenzentren nicht nur als krisensicher, sondern auch als renditestark und verwaltungsfreundlich gelten, sind sie als Lieblinge von Investoren gesetzt.

Ein weiteres profitables Geschäftsfeld erschließen Mobilfunktürme. Das hängt mit dem Ausrollen des Mobilfunkstandards 5G und den hohen Summen, die Europas Telekomriesen in Mobilfunk und Glasfaser investieren müssen, zusammen. Um das Kapital aufbringen zu können, machen sie Teile ihrer Infrastruktur zu Geld. Institutionelle Anbieter nutzen die Gunst der Stunde – nicht zuletzt, weil sie die vergleichsweise hohe Bewertung und die nachhaltigen Mittelzuflüsse der Masten zu schätzen wissen.

Nischendasein beendet
In den genannten Segmenten schreitet die Professionalisierung zügig voran. Ihr Nischendasein darf man als beendet betrachten. Sie erfreuen sich einer steigenden Nachfrage, setzen durch hohe Investitionsvolumina Zeichen, erschließen attraktive Renditepotenziale und überzeugen durch Stabilität. Außerdem helfen sie bei der Diversifizierung, was in schwierigen Zeiten Resilienz bedeutet.

Zudem reagieren sie mit ihren robusten Geschäftsmodellen weniger empfindlich auf Veränderungen im Kapitalmarktumfeld. Denn ihre Entwicklung korreliert weniger mit den Kapitalmärkten als mit langfristigen gesellschaftlichen und technologischen Megatrends, die durch Krisen zumeist nicht gebremst, sondern im Gegenteil noch beschleunigt werden. Es mag sein, dass die etablierten Nutzungsarten von steigenden Renditen profitieren könnten. Das Rad der vermeintlichen Nischen jedoch wird sich nicht zurückdrehen.

Dieser Artikel erschien am 1.10. in der BÖRSEN-ZEITUNG.

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