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Der Staat kauft, der Bürger soll zahlen

26. Jul 2020

Andre Schmöller  |  Domicil Real Estate

Vor Kurzem sorgte eine Nachricht bundesweit für Aufsehen: Die Ankündigung der Stadt München, einen sogenannten Social Bond zu emittieren. Solche Anleihen fließen im Normalfall in nachhaltige und soziale Projekte, da ein Verwendungszweck per se nicht vorgeschrieben ist. Im Münchener Fall allerdings kündigte die Stadt an, die Einnahmen aus der Emission – immerhin 100 Mio. Euro bis 120 Mio. Euro bei einem sehr günstigen Zinskupon von nur 0,25 % – in den Kauf von Wohnhäusern zu stecken. Auch und besonders in solche, für die ein kommunales Vorkaufsrecht besteht.

Für Ausübung von Vorkaufsrechten wurden schon 2018 und 2019 allein in München mehr als 350 Mio. Euro fällig, in Berlin sind es wohl seit 2015 ebenfalls mehr als 300 Mio. Euro. Tausende Wohnungen werden so kommunalisiert und in die Obhut der städtischen Wohnbaugesellschaften überführt. Die Kommune unterstützt die Kommunalisierung aber auch mit direkten Zuschüssen aus der Staatskasse. Nun befeuert das Münchener Vorgehen die Debatte um Vorkaufsrechte neu: Immobilieneigentümer und solche, die es werden wollen, sind besorgt. Aber sind sie es berechtigterweise?

Vorkaufsrechte sind ein begrenztes Phänomen
Zunächst ist es wichtig, zu verstehen, dass Vorkaufsrechte nur in sehr begrenzten Lagen und zudem nur in sehr engen Fristen erlaubt sind. Grundlage für ein kommunales Vorkaufsrecht ist unter anderem die sogenannte Erhaltungssatzung. Sie gilt für Lagen, in denen die Gemeinde oder der Bezirk die Zusammensetzung der Bevölkerung als besonders schützenswert betrachtet und daher erhalten möchte (Milieuschutzgebiete). Diese Lagen sind öffentlich einsehbar. Vor dem Immobilienkauf sollte also immer geprüft werden, ob sich die Immobilie in einem entsprechenden Gebiet befindet und wie vorkaufsfreudig die öffentliche Hand ist. Auch hier gibt es massive Unterschiede je nach Kommune. Akteure wie der bekannte Baustadtrat Florian Schmidt in Berlin-Neukölln etwa üben das Vorkaufsrecht relativ häufig aus.

Immobilienverkäufer kommen so oder so zu ihrem Recht
Nun ist Deutschland ein Rechtsstaat und die Kommunen können sich nicht über geltendes Recht hinwegsetzen. In Bezug auf die Vorkaufsrechte heißt das, dass die Kommunen im Normalfall den Vertragsinhalt des ursprünglichen Käufers übernehmen, also den vereinbarten Preis bezahlen müssen. Nur in Ausnahmefällen darf er herabgesetzt werden. Das führt dazu, dass die Kommunen in den meisten Fällen einen durch den aktuellen Nachfrageüberhang sehr hohen Kaufpreis bezahlen.

Der Verkäufer kann sein Objekt in jedem Fall veräußern. Ob der Käufer ein Unternehmen, eine Privatperson oder die Kommune ist, spielt für ihn wirtschaftlich keine Rolle. Hat er allerdings einen Kaufvertrag für eine Immobilie in einem Erhaltungsgebiet abgeschlossen, muss er das der Kommune mitteilen. Diese hat dann zwei Monate Zeit, die Wahrnehmung des Vorkaufsrechts zu prüfen. Manchmal – wie kürzlich in Berlin – zieht sich die Kaufpreiszahlung aber aufgrund der finanziellen Ausstattung der Kommunen monatelang hin.

Immobilienkäufer sind die Verlierer
Ärgerlich ist das Vorkaufsrecht insbesondere für den Käufer der Immobilie. Er investiert Zeit und Geld in die Prüfung der Immobilie und steht am Ende mit leeren Händen da. Im schlimmsten Fall trägt er obendrein die Notarkosten und die Kosten einer möglicherweise abgeschlossenen Finanzierungsvereinbarung. Aber auch dem Käufer steht immer der Klageweg offen, und es besteht die Chance, das Vorkaufsrecht anzufechten oder eine Entschädigung zu erhalten. Allerdings sollte dieser Rechtsanspruch Hand und Fuß haben. Entgehen kann man dem nur, wenn die Behörden im ersten Schritt den Investoren eine Abwendungserklärung vorlegen. Diese Erklärung bürdet dem Käufer zahlreiche Selbstbeschränkungen auf, etwa den Verzicht auf bestimmte Modernisierungsmaßnahmen. Auch kann eine maximale Miethöhe vorgeschrieben werden, die das Projekt einfach nicht mehr profitabel macht. In solchen Fällen lehnen Investoren die Abwendungserklärung ab und lassen der Stadt den Vortritt. Wird eine solche Abwendungserklärung aber unterschrieben, kann der Kauf wie geplant abgewickelt werden.

Die absurde Folge des staatlichen Immobilienengagements
Das Engagement des Staates auf dem Immobilienmarkt hat allerdings einen Nebeneffekt, der nicht nur für die Immobilienwirtschaft ärgerlich ist. Wer annimmt, mit dem Ausüben des Vorkaufsrechts würden Miet- und Kaufpreise stabil gehalten, liegt falsch. Es ist eine Milchmädchenrechnung: In Zeiten des Anlagenotstands durch die Nullzinsphase ist jeder Investor verzweifelt auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten, und eines der wenigen risikoaversen Investments ist nun einmal die Immobilie. Durch das Ausüben des Vorkaufsrechts wird der Investor nicht abgeschreckt, er wird sich nur die nächste Immobilie suchen, in die er investieren kann. Übt die Stadt zum Beispiel ein Vorkaufsrecht über 50 Mio. Euro aus, wird beim Investor wiederum Kapital in Höhe von 50 Mio. Euro frei – am Ende werden also 100 Mio. Euro in den Markt fließen, und nach dem betriebswirtschaftlichen Einmaleins führt die steigende Nachfrage in einem Markt zu steigenden Preisen, die im Immobilienmarkt meist steigende Mieten zur Folge haben. Im Endeffekt werden die Bürger zweimal zur Kasse gebeten: Einmal, um Wohnungen zur Erhaltung eines bestimmten Mietermixes in sehr begrenzten Lagen zu erwerben, und noch einmal durch steigende Miet- und Kaufpreise infolge der Verdopplung des eingesetzten Kapitals.

Falscher Fokus bei der Problemlösung
Der Staat selbst, als Akteur auf dem Bestandsmarkt, wirkt durch die zunehmende Ausübung von Vorkaufsrechten selbst als Preistreiber auf dem Immobilienmarkt. Gleichzeitig fehlt den Kommunen Kapital an anderen wichtigen Stellen. So wäre das Geld zum Beispiel weit besser in den preisgedämpften kommunalen Wohnungsbau oder in die Zurverfügungstellung preisgünstiger kommunaler Grundstücke investiert – hier will man aber gerne selbst das Maximum beim Verkauf erlösen. Das Vorkaufsrecht erweist dem Bürger also letztlich einen Bärendienst, da es ein teures und gleichzeitig untaugliches Instrument ist, mit dem man dem eigentlichen Problem, der Wohnraumknappheit und den steigenden Mieten, nicht Herr werden kann. Auch in näherer Zukunft ist kein Ende des Runs auf die Metropolen in Sicht. Daher darf der Staat die Entwicklungen gerade jetzt nicht verschlafen, er sollte die Wurzel des Problems anpacken und keine Symbolpolitik betreiben. Es hilft nur eins: bauen, bauen, bauen. Zudem ist durch den Kauf von Bestandswohnungen noch kein zusätzlicher Wohnraum entstanden. Die öffentliche Hand scheut darüber hinaus oftmals zurück, in den erworbenen Gebäuden oder auf den Grundstücken vorhandenes Baupotenzial zu nutzen und weiteren Wohnraum zu schaffen.

Zusätzlich könnten sich die Warnungen vor verfallender Wohnsubstanz als zutreffend herausstellen, wenn die Mieteinnahmen zur Deckung der Sanierungskosten schlicht nicht ausreichen. Das ist eine besondere Gefahr für kommunale Wohngesellschaften, die von jeher bezahlbaren Wohnraum bereitstellen. Denn das Vorkaufsrecht und die Deckelung der Mieten auf ein Niveau unter dem Marktpreis bedeutet ein erhebliches Risiko in der Bilanz der Gesellschaften.

Der Staat möchte die Oberhand behalten – aber zu welchem Preis?
Das Vorkaufsrecht der Kommunen ist sicherlich richtig und wichtig. Allerdings drängt sich der Eindruck einer inflationären Nutzung auf, vor allem zugunsten ohnehin privilegierter Mieter in den „hippen“ Wohnlagen. Etwas weniger politisches Kalkül und etwas mehr wirtschaftliches Augenmaß täten also gut. Wenn eine Kommune, ohne mit der Wimper zu zucken, ein sanierungsbedürftiges Miethaus zum Faktor 40 oder mehr einkauft und dabei Mieterhöhungen strikt ausschließt, ist das kein verantwortungsbewusster Umgang mit Steuergeldern. Speziell dann nicht, wenn zum gleichen Preis neuer Wohnraum entstehen könnte.

Dieser Artikel erschien in CASH. 8/2020.