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Covid-19 kann uns Weitsicht lehren

21. Jun 2020

Lars von Lackum  |  LEG Immobilien AG

Covid-19 ist noch nicht überwunden. Zwar ist der mehrwöchige Stillstand inzwischen weitgehend beendet, doch die wirtschaftlichen Folgen werden erst langsam sichtbar. Es ist deshalb richtig und wichtig, dass die Bundesregierung ein ambitioniertes Konjunkturpaket aufgelegt hat. Auf dieser Grundlage wird Deutschland – dank eines vorausschauenden Krisenmanagements – die Krise sicherlich schneller hinter sich lassen als viele andere Länder. Genau diese Weitsicht sollten wir uns in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auch über die akute Pandemie hinaus erhalten. Denn Covid-19 ändert nichts daran, dass im Klimawandel die ungleich größere Herausforderung auf uns wartet.

In vielen Bereichen haben wir auf diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe trotz ambitionierter Zielvorgaben noch keine praktische Antwort gefunden. Im Gebäudesektor etwa wird bis 2050 Klimaneutralität angestrebt. Nach Schätzungen der Bundesregierung sind allein für die entsprechenden Modernisierungen jährlich zweistellige Milliardenbeträge nötig. Um es gleich klarzustellen: Es kann kein Zweifel an der Richtigkeit und Wichtigkeit dieses Ziels bestehen, schließlich fallen allein beim Betrieb von Immobilien 30 % der deutschen Treibhausgasemissionen an.

Doch obwohl große Einigkeit in Politik, Immobilienwirtschaft und Zivilgesellschaft herrscht, muss man angesichts der Corona-Pandemie umso klarer feststellen: Wir werden ohne weitere Förderung die anvisierte Sanierungsquote nicht erreichen. Die Diskussion über das Wie wird nicht einfach, aber sie ist notwendig. Wären flächendeckende Modernisierungen ein nachrangiges Ziel, könnte man die entsprechenden Anstrengungen zurückfahren und den Beteiligten eine Verschnaufpause gönnen. Doch das können wir uns nicht leisten. Der Klimawandel nimmt sich schließlich auch keine Auszeit, wie die vergangenen trockenen Monate erneut eindrücklich unter Beweis gestellt haben.

Neben der grundsätzlichen Kooperationsbereitschaft sollte die Diskussion über zügige und flächendeckende Modernisierungen daher zwei weitere Prämissen erfüllen: politische Verbindlichkeit und die Möglichkeit flexibler Lösungen. Nur so wird es gelingen, die Zielkonflikte zu lösen, die sich im sozial sensiblen Bereich des Wohnens unweigerlich ergeben. Für einen Teil der Bevölkerung bedeutet die Umlage von Sanierungskosten eine spürbare Belastung – während private Vermieter die Kosten für den Klimaschutz nicht allein tragen können. Es wäre daher ein Fehler, wenn technische Vorgaben auf einzelne Aspekte und Verfahren verengt werden – den Handelnden vor Ort muss ein praktikabler Handlungsspielraum bleiben. Während etwa ein reiner Fokus auf die Dämmung von Gebäuden den Primärenergiebedarf ausklammert, gibt es auf der anderen Seite vielversprechende Ansätze für kostengünstige und effektive serielle Dämmtechniken, die sich aber nicht für jedes Gebäude eignen.

Gelingt es, sowohl Technologieoffenheit als auch regulatorische Flexibilität mit einer sinnvollen öffentlichen Förderung zu verbinden, fänden Politik und Zivilgesellschaft in der Immobilienwirtschaft einen verlässlichen und engagierten Partner – davon bin ich überzeugt. Denn dass die Unternehmen ihren Beitrag zu dieser Generationenaufgabe leisten, haben sie in der Vergangenheit bereits gezeigt: Um immerhin 44 % sind die Emissionen im Gebäudesektor zwischen 1990 und 2018 gesunken. Ein Achtungserfolg, doch der größere Teil der Aufgabe liegt noch vor uns. Die Wohnungswirtschaft muss mit eigenen Investitionen weiterhin ihren Handlungswillen demonstrieren. Die Bevölkerung muss eine breitere Akzeptanz dafür entwickeln, dass die Miete nach einer energetischen Modernisierung in moderatem Umfang steigt. Und Bund, Länder und Kommunen müssen für die finanzielle Unterstützung bedürftiger Mieter sowie für einen Ausbau der Technologieförderung sorgen.

Sollte an dieser Stelle ein dauerhafter Zielkonflikt zwischen den sozialen Belangen der Mieter, der ökologischen Nachhaltigkeit der Bestandsgebäude und der ökonomischen Vorteilhaftigkeit von Investitionen bestehen bleiben, dann ist der klimagerechte Umbau des deutschen Immobilienbestands zum Scheitern verurteilt. Zur Erreichung der Klimaziele braucht es genau wie zur Überwindung der Covid-19-Krise den Willen und die Anstrengung aller gesellschaftlichen Gruppen.

Letzten Endes zählt daher nur eins: Wir als Gesellschaft müssen die Aufgabe angesichts der schieren Dimensionen – sowohl die Herausforderung als auch die möglichen Folgen betreffend – in ihrer gesamten Breite diskutieren und anpacken. Ins Zentrum gehören dabei Effizienzsteigerungen auf allen relevanten Ebenen. Neben der Dämmung von Gebäuden umfasst das beispielsweise den Stromverbrauch der Haushalte und die Stromproduktion – an der sich gut zeigen lässt, dass es auch im Großen auf die kleinen Details ankommt: etwa beim Mieterstromgesetz, das seit 2017 in Kraft ist und die dezentrale Stromproduktion fördern soll. 3,5 Mio. Wohnungen kämen laut Schätzungen des Bundeswirtschaftsministeriums für die Versorgung mit direkt vor Ort produziertem Strom aus Photovoltaik infrage.

Die bisherige Bilanz dürfte jedoch ernüchternd ausfallen – denn ein Webfehler verhindert, dass Wohnungsunternehmen diese ökologisch und hinsichtlich der Energiekosten sehr sinnvolle Möglichkeit nutzen. Tun sie es doch, verlieren sie unter anderem das Recht auf eine erweiterte Kürzung der Gewerbesteuer und werden Energieunternehmen gleichgestellt – was auf die Vermietungseinnahmen wirkt und das gesamte Geschäftsmodell sehr negativ belastet. Die Folge ist logisch: Zu wenige Wohnungsunternehmen bieten in größerem Umfang Mieterstrom an.

Die Finanzhilfen in der Covid-19-Pandemie beweisen einmal mehr, dass hierzulande in besonderen Situationen ambitionierte Pläne in kürzester Zeit umgesetzt werden können. Wir sollten uns den Erfolg bei der Bewältigung dieser Krise zum Beipiel nehmen, um den Gefahren des Klimawandels mit einem ebenso großen Wurf zu begegnen – auch und gerade im Gebäudesektor.

Dieser Artikel erschien am 19.6. in der FAZ.