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Die Stadt nach der Pandemie

10. Apr 2022

Rackham F. Schröder  |  Engel & Völkers Commercial Berlin

Das Gesicht der Städte wird sich radikal und dauerhaft verändern. Corona stellt bestehende Strukturen infrage und beschleunigt Entwicklungen, die bereits vorher im Gange waren. Auch wenn die Pandemie eines Tages vorüber sein sollte, wird es nicht wieder so werden, wie es einmal war. Denn die Menschen haben ihr Verhalten geändert, und vieles davon wird bleiben. Einfach deshalb, weil es nachhaltig ist.

In den Innenstädten hat sich Corona bereits spürbar ausgewirkt. Stichwort Büro: Die Verlagerung vieler Tätigkeiten ins Virtuelle, die sonst vermutlich noch viele Jahre gedauert hätte, musste wegen des Virus auf Monate komprimiert werden. Und das Experiment ist geglückt: Extreme Verwerfungen sind ausgeblieben. Viele Arbeitnehmer sehen das als unerwarteten Glücksfall. Sie profitieren in vielfältiger Weise von der Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten, und werden sich diese Errungenschaft nicht wieder nehmen lassen wollen. Auch für die Arbeitgeber bietet die Flexibilisierung der Arbeitsorte Vorteile.

Onlinehandel war bereits vor der Pandemie auf dem Vormarsch
Das Büro ist deswegen keine aussterbende Art. Denn Arbeitgeber und Arbeitnehmer spüren, dass auch etwas verloren gegangen ist: der persönliche Kontakt, aus dem Kreativität und Zusammengehörigkeitsgefühl entstehen. Was das für bestehende und zukünftige Bürostandorte bedeutet, wird gerade erprobt. Bereits zu beobachten ist, dass es weniger Schreibtische geben wird. Dafür wird das Büro stärker zum Treffpunkt und Ideenlabor. Möglicherweise kommt der einzelne Standort in Zukunft auch mit weniger Fläche aus. Vielleicht werden die Unternehmen stattdessen mehr Standorte unterhalten, damit Mitarbeiter, die Ruhe zum Arbeiten oder auch nur einen Farbdrucker brauchen, kurze Wege haben. Solche Satellitenbüros außerhalb der Citys und Bürostädte können auch von externen Dienstleistern betrieben werden.

Stichwort Einzelhandel: Der Schlag ins Kontor der Retailer war deshalb so heftig, weil der Onlinehandel als effiziente Alternative bereits vor der Pandemie auf dem Vormarsch war. Das betrifft alle Güter des nichtlebensnotwendigen Bedarfs, macht aber auch vor den Nahversorgern nicht halt. Es gibt zukünftig immer weniger Gründe, sich den Stress überfüllter Innenstädte anzutun, wenn man sich fast alles vom Sofa aus aussuchen und vor die Haustür liefern lassen kann.

Und doch gibt es weiterhin eine Existenzberechtigung für stationäre Ladenlokale. Zum Beispiel für erklärungsbedürftige Produkte oder solche, die Menschen haptisch an- oder ausprobieren wollen. Deshalb sind erlebnisorientierte Concept Stores und Showrooms im Kommen, während es traditionelle Einzelhandelskonzepte immer schwerer haben. Auch gibt es bereits vielfältige Ansätze einer Hybridisierung von stationärem und Onlinehandel. Traditionelle Einzelhändler bieten immer mehr Onlineservices an, und bislang reine Online-Retailer eröffnen Ladenlokale. Citylogistiker, die die Lieferung von Waren organisieren, benötigen immer mehr Standorte, in den Innenstädten wie in der Peripherie.

Verödung ist nicht nachhaltig
So oder so muss die Stadt effizienter werden, ökonomisch wie ökologisch. Rushhour und Einkaufsgewühl sind nicht nachhaltig. Der in Deutschland noch gepflegte Luxus, mit dem eigenen Auto bis an den Berliner Ku’damm, die Hamburger Elbphilharmonie, den Münchener Stachus oder den Kölner Dom zu fahren, wird in den Metropolen anderer Länder längst als Anachronismus wahrgenommen. In den neuen Mobilitätskonzepten wird das Auto eine immer geringere Rolle spielen. Wie genau sie ausgestaltet werden, wird auch über die Zukunft der Innenstädte mitentscheiden.

Veröden die Citys deshalb, oder wird hinter den Fenstern, die in den letzten Monaten mit Folie verklebt wurden, wieder neues Leben erblühen? Das hängt ganz davon ab, welche Weichen nun gestellt werden. Was der Innenstadt bleibt, ist ihre Rolle als Magnet für Freizeit- und Kultursuchende. Gastronomieangebote kehren bereits zurück, und wer mit wachen Augen durch die Städte geht, bemerkt, dass sich auf brachliegenden Flächen interessante neue Unterhaltungs-, Bildungs- und Sportangebote ansiedeln. Die Angebote dürften insgesamt kleinteiliger, aber innovativer werden. Doch auch große Flächen können weiter gefragt bleiben, wenn sie verschiedene Nutzungen intelligent miteinander verweben. Auf jeden Fall sind Quartiere, die zwölf Stunden am Tag ungenutzt beheizt und bewacht werden, weder ökonomisch noch ökologisch nachhaltig. Aus diesem Grund dürften mittelfristig auch wieder mehr Menschen in den Innenstädten wohnen.

Klare Gewinner der jüngsten Entwicklungen sind jedoch die Stadtviertel. Millionen Menschen haben in den vergangenen zwei Jahren die Umgebung ihrer Wohnungen neu entdeckt oder erstmals überhaupt richtig wahrgenommen. In vielen Stadtvierteln geht es Einzelhandel und Gastronomie sehr gut, und neben den Traditionsgeschäften siedeln sich auch immer mehr Ketten in den Vierteln an, die sonst ausschließlich auf 1-a-Lagen gesetzt hatten.

Dass das zu Gentrifizierung führen wird, ist nicht ausgemacht. Es gibt viele Ideen, die das Aufblühen der Stadtviertel fördern und eingesessene Bewohner und Geschäfte zugleich vor Verdrängung schützen können. So schlummert in den Dachgeschossen, die in deutschen Städten nur zu 8 % ausgebaut sind, eine enorme Reserve. Die Städte könnten den Ausbau unbürokratisch ermöglichen und im Gegenzug Eigentümer verpflichten, günstigen Wohnraum zu erhalten. In diese Richtung gehen auch alle Maßnahmen, die es Mietern ermöglichen, ihre Wohnung zu kaufen. Denn Eigentum ist der beste Milieuschutz.

Der Wandel der Städte wird viel schneller gehen als in der Vergangenheit. Innovative Zwischennutzungen können kurzfristig helfen, Verwerfungen abzumildern, für die langfristige Entwicklung muss die Politik die richtigen Weichen stellen. Daran sollten Eigentümer und Bewohner stärker als bisher beteiligt werden. An Ideen, den Umbruch für Bewohner, Arbeitnehmer und Konsumenten positiv zu gestalten, mangelt es jedenfalls nicht.

Dieser Artikel erschien am 8.4. in der FAZ.

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