Betreiberrisiko im Realitätscheck
5. Jul 2024
5. Jul 2024
Lange Zeit war das Betreiberrisiko die „große Unbekannte“ bei Investitionen in Pflegeimmobilien. Entsprechend sorgte es für einen Risikoaufschlag, der den Wert dieser Assetklasse drückte. Durch die Pandemie und vor allem während der darauf folgenden Zinswende kam es zuletzt vermehrt zu Betreiberinsolvenzen. Hat sich der Risikoaufschlag also als korrekt erwiesen? Christian Möhrke, CEO von Cureus, sieht das anders. Denn trotz der Insolvenzen konnten für den Großteil der betroffenen Immobilien in kurzer Zeit neue Betreiber gefunden werden.
Was für eine Berg-und-Tal-Fahrt! Selten wie nie zuvor wurde der Markt für Gesundheitsimmobilien und insbesondere Investitionen in Pflegeheime seit der Energiekrise und der Zinswende durchgeschüttelt.
Prägend war vor allem die Insolvenzwelle vieler Pflegeheimbetreiber, die dazu führte, dass immer wieder ganz konkret Pflegeheimplätze zu verschwinden drohten. Insgesamt gab es im vergangenen Jahr 225 Standorte, deren Betreiber einen Insolvenzantrag stellen mussten. Betroffen von der Insolvenzwelle waren zunächst alle Organisationsformen gleichermaßen – privat, kirchlich und freigemeinnützig.
Nicht wenige Branchenvertreter stellten angesichts der zum Teil dramatischen Entwicklungen die prinzipielle Systemfrage: Taugt das Refinanzierungssystem noch, wenn kurzfristige Krisen wie Pandemie oder Energiekrise mit langfristigen Problemlagen wie wirtschaftlichem Abschwung oder Fachkräftemangel zusammentreffen? Fest steht, dass sich die Politik lange Zeit trotz der schwierigen Lage nicht oder kaum gerührt hat – auch mit Auswirkungen auf die langfristige Bewertung und das Investitionsinteresse in die Assetklasse Pflegeheim.
Transaktionsgeschehen bricht ein
Denn: Insbesondere die Zinswende hat offenbar zu einem breiten Abschwung bei den Investitionen in Pflegeheime geführt. Das geht aus den Zahlen hervor, die die Analysten von CBRE zur Verfügung gestellt haben: 2023 verzeichnete der deutsche Gesundheitsimmobilieninvestmentmarkt demnach ein Transaktionsvolumen von 931 Millionen Euro – 63 Prozent weniger als noch 2022! Damit lag die Investitionsdynamik in etwa auf dem Niveau von 2017. Der Anteil internationaler Investoren betrug 17 Prozent, 29 Prozentpunkte weniger als 2022, so CBRE.
Gleichzeitig ist im Vergleich zu 2022 die Spitzenrendite für Pflegeheime um 0,8 Prozentpunkte auf 5,2 Prozent gestiegen, was auf eine erhöhte Risikowahrnehmung oder schwierigere Marktbedingungen hindeutet.
Einordnen lässt sich diese Kennzahl möglicherweise im Vergleich zu Entwicklungen anderer Betreiberimmobilienassetklassen. Beispiel Hotelwesen: Während Ende 2022 noch Bruttoanfangsrenditen von 4,65 Prozent für langfristig verpachtete Hotelimmobilien in den Top-5-Städten erzielbar waren, erhöhte sich die Spitzenrendite im Verlauf von 2023 um insgesamt 60 Basispunkte auf 5,25 Prozent – eine analoge Entwicklung wie bei Gesundheitsimmobilien. Risikoeinschätzung, Marktattraktivität, wirtschaftliche Stabilität sowie Ertragsaussichten werden von Investorenseite offenbar ähnlich bewertet, obwohl der Tourismus nach Corona einen enormen Boom erlebt hat. Dazu im Gegensatz die Wohnimmobilien: Die durchschnittliche Spitzenrendite der Top-7-Städte stieg 2023 gegenüber Ende 2022 zwar um fast 80 Basispunkte, liegt aber auf dem wesentlich niedrigeren Niveau von 3,34 Prozent.
Fundamentaldaten sind nach wie vor relevant
Auch für das laufende Jahr prognostizieren die Analysten von CBRE Zurückhaltung insbesondere der institutionellen Investoren, wenn es um Immobilieninvestitionen in den Pflegesektor geht. Als Gründe werden nach wie vor Betreiberinsolvenzen, die Infragestellung der Mietindexierung, der Fachkräftemangel und die damit verbundene mögliche Unterauslastung der Einrichtungen angeführt.
Erweitert man den eigenen Blickwinkel, könnten sich einige Investoreneinschätzungen allerdings als nicht korrekt herauskristallisieren. Es sind vor allem die Fundamentaldaten, besonders die demografischen Daten, die keinen Zweifel darüber aufkommen lassen sollten, dass Investitionen in den Markt für Pflegeimmobilien sowohl für private als auch für institutionelle Investoren nach wie vor zukunftsweisend sind. Fakt ist: Die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland wird gesichert in den kommenden Jahren immer weiter steigen. Das besagt beispielsweise die Pflegevorausberechnung des Statistischen Bundesamts. Demnach werden im Jahr 2055 37 Prozent mehr Menschen als heute pflegebedürftig sein – mit entsprechenden Auswirkungen auf die benötigte Anzahl der Pflegeheimplätze. Bereits für das Jahr 2035 wird ein Zuwachs von 14 Prozent auf etwa 5,6 Millionen Pflegebedürftige erwartet.
Die Dissonanz zwischen Investoreneinschätzung und Marktrealität lässt sich noch an anderer Stelle belegen. Denn ein Großteil der Pflegeheime konnte gerettet oder von anderen Betreiberfirmen übernommen werden. Mit Blick auf das vergangene Jahr belief sich die Zahl der von Insolvenzanträgen betroffenen Standorte gemäß pflegemarkt.com auf 225. Damit waren 21.052 stationäre Pflegeplätze von Insolvenzverfahren betroffen und zunächst einmal potenziell gefährdet. 110 Pflegeheime mit insgesamt 8.748 Plätzen konnten von neuen Betreibern übernommen werden, wobei etwa 92,8 Prozent der Plätze von privaten Trägern übernommen wurden. Insgesamt konnte durch die Anstrengung der Branche erreicht werden, dass der deutschen Pflegelandschaft in Deutschland bis Ende 2023 „nur“ 3.339 vollstationäre Plätze verloren gegangen sind.
Betreiberrisiko ist vielmehr ein Immobilienrisiko
So tragisch sich dieser Verlust vor Ort ausgewirkt haben mag, zeigt die Entwicklung doch, dass für den Großteil der betroffenen Immobilien in kurzer Zeit neue Betreiber gefunden werden konnten. Es hat sich offenbar die Einschätzung durchgesetzt, dass die meisten Standorte und Objekte nach wie vor rentabel zu betreiben sind – nicht nur unter heutigen Voraussetzungen, sondern mit Blick auf die Fundamentaldaten auch in Zukunft.
Schaut man sich im Detail an, welche Objekte konkret übernommen wurden, entpuppt sich das Betreiberrisiko mehr und mehr als Immobilien- und Standortrisiko. Denn es dürften sich am Markt die Häuser durchgesetzt haben, die auch unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen funktionieren und sich resilient gegenüber neuen regulatorischen Vorgaben wie der Einzelzimmerverordnung zeigen oder auch strengere ESG-Kriterien erfüllen. Oder anders gesagt: Neu errichtete Immobilien in guter Lage funktionieren, während alte verschwinden, die ohnehin langfristig nicht überlebt hätten. Insofern haben die Entwicklungen der jüngsten Zeit nur Prozesse beschleunigt und rascher zu einer Marktbereinigung geführt. Dass dieser Ansatz erfolgreich ist, hat Cureus in den vergangenen Monaten bewiesen, denn bislang ist kein Betreiber eines Cureus-Hauses insolvent gegangen.
Zur Standortqualität gehört übrigens gleichberechtigt auch, die Bedürfnisse der eigenen Mitarbeiter mitzudenken, denn an ihnen hängt die Belegungsquote. Ein Haus, das an den öffentlichen Nahverkehr angeschlossen ist, wird schnell attraktiv für Arbeitnehmer, die oftmals im Schichtdienst arbeiten. Zur Mitarbeiterqualität gehören darüber hinaus: Übernachtungsmöglichkeiten oder kleine Mitarbeiterapartments sowie genügend Parkplätze. Unterm Strich heißt das: Wir brauchen Gebäude, in denen Menschen gerne leben und ebenso gerne arbeiten.
All das zeigt: Ein modernes und zeitgemäß geführtes Haus, das Mehrwert für Bewohner und die eigenen Mitarbeiter bietet und sich optimalerweise noch in gut angebundener Lage befindet, ist ein risikoarmes und sogar attraktives Investitionsobjekt – was positive Auswirkungen auf den Risikoaufschlag haben sollte.
Dieser Artikel erschien am 03.07.2024 online auf immobilienmanager.de
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