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Der vergessene Normalzustand

5. Mai 2023

Sebastian Fischer  |  Primus Immobilien

Höhere Zinsen und andere Entwicklungen waren vorhersehbar. Investoren achten auf sichere Häfen und Nachhaltigkeit.

Manche Immobilieninvestments sind risikoreicher als andere. Diese Selbstverständlichkeit ist in der Praxis in den vergangenen Jahren zum Teil in Vergessenheit geraten. Beinahe kostenloses Geld und praktisch keine Erträge auf Festzinsprodukte lösten einen beispiellosen Run auf deutsche Immobilien aus. Der Anlagedruck in- und ausländischer Investoren bei knappem Angebot führte dazu, dass – etwas überspitzt ausgedrückt – fast alles gekauft wurde, was aus Beton war. Auch der Preisanstieg erfolgte wenig differenziert. Kriterien, die früher die Bewertung eines Objekts entscheidend bestimmten, spielten kaum eine Rolle.

Inzwischen kostet Fremdkapital wieder etwas, neue ökonomische und politische Risiken machen die Märkte volatiler, und Immobilieninvestoren müssen die bittere Erfahrung machen, dass sich nicht alle Renditeerwartungen erfüllen.

Doch die Korrektur am Immobilienmarkt erfolgt nicht gleichmäßig. Während sich manche Objekte kaum noch absetzen lassen und drastische Wertverluste hinnehmen müssen, entwickeln sich andere Investments unbeeindruckt von der Krise weiterhin – zu niedrigeren Faktoren, aber höheren Mieten – also zu ähnlichem Kaufpreis. Die Spreu trennt sich vom Weizen.

Spitzenobjekte in Spitzenlage
Auch wenn die Europäische Zentralbank (EZB) in ihrer Sitzung am Donnerstag die Leitzinsen nochmals angehoben hat, gehen die Märkte davon aus, dass das Zinsniveau mittelfristig ein Plateau erreicht und dass es – in Abhängigkeit von Inflation und wirtschaftlicher Entwicklung – auch wieder Zinssenkungen geben wird. Damit verlieren auf lange Sicht die aktuell interessanten Anlageklassen, zum Beispiel kurzfristige Anleihen, wieder an Attraktivität zugunsten von Immobilien, deren Ertrag sich historisch langfristig konstant positiv entwickelt hat.

Einige der Entwicklungen auf dem Immobilienmarkt hätten Investoren vorhersehen können. Gerade Anleger, die sich während des Immobilienbooms erstmals mit der Anlageklasse beschäftigt haben, müssen nun lernen, dass Risikodifferenzierungen wie Core, Core Plus, Value Add und Opportunistic ihre Berechtigung haben. Lage und Bauqualität eines Objekts spielen eben doch eine wesentliche Rolle bei der Bewertung. Während man sich bei Core geringes Risiko mit bescheideneren Ertragschancen erkauft, muss Opportunistic zum Ausgleich für höheres Risiko bessere Opportunitäten bieten. Dieser triviale Mechanismus, der einige Jahre teilweise außer Kraft war, greift nun wieder. Immobilieninvestoren investieren wieder deutlich stärker risikoadjustiert.

Dabei zeigt sich im aktuellen Umfeld, in dem Investoren sichere Häfen aufsuchen, dass Spitzenobjekte in Spitzenlagen weiterhin stark nachgefragt sind und sich auch im aktuell widrigen Umfeld leicht und mit Gewinn absetzen lassen. Dagegen geht die Spekulation auf Gewinne bei schlechteren Liegenschaften für viele Anleger nicht auf. Im Rausch des Booms haben sie die Bedeutung der qualitativen Abstriche unterschätzt und zu teuer eingekauft. So stehen selbst in der Innenstadt der Immobilien-Boomtown Berlin mittlerweile Büroobjekte leer, weil sie baulich nicht den aktuellen Standards entsprechen.

Auf Nummer sicher gehen
Allerdings ist nicht mehr alles Core, was früher einmal Core war. Dazu hat die Pandemie beigetragen, die längerfristige Entwicklungen beschleunigt und zu nachhaltigen Veränderungen bei den Nutzerpräferenzen geführt hat. Um in Berlin zu bleiben: Ob die Friedrichstraße noch eine Spitzenlage ist, ist heute mehr als fraglich. Dagegen zählen manche ehemals als Brache geltende Kieze wie die Mediaspree in Friedrichshain heute zu den spannendsten Bürolagen.

Veränderungen gibt es auch bei den baulichen Kriterien, die eine Immobilie als Core-Objekt qualifizieren. Ökologische Nachhaltigkeit, insbesondere Energieeffizienz, ist von einer Eigenschaft, die als nett zu haben galt, zu einem Ausschlusskriterium geworden. Dabei geht es zunehmend nicht nur um Nebenkosteneinsparungen angesichts explodierender Energiepreise und die Vorbereitung auf strengere ESG-Regularien für Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. In einem Gebäude zu residieren, das neuesten ökologischen Anforderungen entspricht, ist für immer mehr anspruchsvolle Mieter inzwischen zu einer Frage von Selbstverständnis geworden.

Beides – der Auf- und Abstieg von Lagen und neue Kriterien für modernen baulichen Standard – sind Dinge, die Immobilieninvestoren begleiten, seit es Immobilieninvestments gibt, ebenso wie die Bewertung von Objekten anhand von Risikoparametern. So stellen die Verwerfungen der vergangenen Monate ein Stück weit eine Rückkehr zur Normalität dar. Für Anleger, die sich dadurch unter Stress gesetzt fühlen, bleibt der Rat: im Zweifel auf Nummer sicher.

Dieser Artikel erschien am 05.05. in der FAZ

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