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Digitale Gebäudemanager dank KI-Tools

1. Nov 2024

Sebastian Weisel  |  baind

Künstliche Intelligenz kann einen wesentlichen Beitrag zur Optimierung der Gebäudesteuerung leisten. So lassen sich Energie, Emissionen und Kosten effektiv einsparen. Dafür müssen jedoch alle relevanten Gebäude- und Standortdaten berücksichtigt und zentral gesteuert werden. In Zukunft können sogar die Gebäude in einem Quartier miteinander kommunizieren.

Der Gebäudesektor muss insgesamt umwelt- und klimafreundlicher und somit vor allem auch energieeffizienter werden. Das darf als Konsens gelten. Angesichts tendenziell steigender Preise für Strom, Wärme und CO2-Emissionsrechte ist es zumeist auch ökonomisch sinnvoll, den Gebäudebetrieb möglichst energieeffizient zu gestalten. Im Neubau können entsprechende Eigenschaften schon bei der Planung berücksichtigt werden. Die weitaus größere Herausforderung – und damit auch der größere Hebel – liegt jedoch im Bestand.

Entsprechend groß ist derzeit der Investitionsbedarf in gedämmte Fassaden und Fenster, moderne Heizungs-, Lüftungs- und Klimaanlagen (HLK) und sonstige energiesparende Haustechnik, gegebenenfalls Photovoltaikanlagen und vieles mehr. Dabei sollten die Maßnahmen für mehr Energieeffizienz zugleich auch möglichst kosteneffizient ausfallen, das heißt: möglichst viel Energie- beziehungsweise Emissionsersparnis für möglichst wenig Geld. Dabei kann oftmals auch ohne große bauliche Maßnahmen eine ungeahnt große Wirkung erzielt werden. Die Betriebsoptimierung ist in den meisten Fällen die günstigste und einfachste aller Optionen, die im Vergleich zu aufwendigen Umbauten Liquiditätsvorteile schafft.

Gebäudetechnik hat Optimierungspotenzial
Das beste Beispiel hierfür ist die Steuerung der Gebäudetechnik. In Extremfällen wurden schon Reduzierungen der Energiekosten um bis zu 70 Prozent allein durch eine konsequent effiziente Gebäudesteuerung realisiert – ohne spürbare Abstriche an Wohlbefinden und Komfort. Doch wie lässt sich bei der Gebäudesteuerung das Maximum an Effizienz herausholen? Schließlich handelt es sich zum Beispiel bei einer Büroimmobilie um eine komplexe Gleichung mit sehr vielen, teils unbeeinflussbaren Variablen. Hinzu kommt, dass bei konventioneller Gebäudesteuerung immer noch der Mensch und damit eine potenzielle Fehlerquelle seine Hand im Spiel hat.

Die Lösung liegt in einer zentralen Steuerung der Gebäudetechnik mittels Künstlicher Intelligenz (KI). Allerdings steckt dieser Markt noch in seinen Anfängen. Dabei gibt es durchaus Ansätze, KI-Algorithmen zur Gebäudeoptimierung zu nutzen. Zumeist beschränken sich diese aber auf eine bestimmte Anwendung, zum Beispiel die Steuerung der Heizung. Die Komplexität ist hierbei noch eher überschaubar, da die Steuerungslogik zumeist noch vom Menschen kommt. Zudem agieren die einzelnen Gewerke mehr oder weniger unabhängig voneinander und kommunizieren nicht ausreichend untereinander. Zwar können dank der KI mehr Einflussfaktoren und größere Datenmengen berücksichtigt werden. Die daraus folgenden Anpassungen im Betrieb führen aber nur zu einem lokalen Optimum, was global jedoch einem Sub-Optimum entspricht. Und sie erfolgen in der Regel manuell und nicht kontinuierlich.

Zentrales Nervensystem für bisher autarke Komponenten
Für eine auf die gesamte Gebäudeinfrastruktur ausgerichtete, weitgehend autonom agierende und kontinuierliche Steuerung gilt es deshalb, die KI-Lösung von der Feld- auf die Leittechnikebene zu heben, auf der die einzelnen Komponenten untereinander kommunizieren und alle Daten und Informationen wie in einem zentralen Nervensystem zusammenlaufen und verarbeitet werden. Auf der Basis dieses ganzheitlichen Informationsstands kann die KI dann „Entscheidungen“ treffen und Maßnahmen einleiten, um den Gebäudebetrieb insgesamt zu optimieren.

Eine große Herausforderung besteht darin, die unterschiedlichen Gebäudefunktionen zu verknüpfen. Oftmals gibt es keine kompatiblen Schnittstellen zwischen der Steuerung von Heizungs-, Lüftungs- und Klimaanlagen, Beleuchtung sowie Fenstern und Jalousien – von einem Abgleich mit Klimadaten und Wetterprognosen, individuellen Nutzungsprofilen und voraussichtlicher Belegung etwa einer Bürofläche ganz zu schweigen. Allein die thermische Dynamik eines Gebäudes zu modellieren, ist aufgrund der vielen Einflussfaktoren inner- und außerhalb seiner Mauern sehr komplex. Diese vielen Datenpunkte zu erheben und in andere Protokolle zu „übersetzen“, ist manuell ein sehr großer Aufwand.

Die KI als Dolmetscherin
Hier kann die KI eine Rolle als „Dolmetscherin“ übernehmen und mit den unterschiedlichen Gebäudefunktionen in beide Richtungen kommunizieren. Voraussetzung ist natürlich, dass digitale Gateways der jeweiligen Gebäudetechnikkomponenten bestehen, auch wenn diese sich unterschiedlicher Schnittstellen und „Sprachen“ bedienen. Dann bedarf es einer Steuerungseinheit, bei der all diese Informationen zentral zusammenlaufen. Und genau dort kann eine KI dann als „übersetzender“ und somit standardisierender Prozess wirken.

Bisherige Ansätze für KI-Lösungen zur Gebäudesteuerung basieren im Wesentlichen auf relativ einfachen stochastischen Modellen und Supervised Learning, die für ihre spezifischen, zum Teil auch sehr komplexen Aufgaben, zum Beispiel die Klassifizierung von Daten oder die Erkennung von Anomalien, perfekt geeignet sind. Sie haben jedoch Schwierigkeiten, auf dynamische und veränderliche Umgebungen in Echtzeit flexibel zu reagieren, insbesondere, wenn viele Variablen gleichzeitig interagieren, was bei einem Gebäude typisch ist. Dann stoßen sie an Grenzen, die neuere Formen der KI überschreiten können. Neuere Formen der KI wie Deep Reinforcement Learning (DRL) ermöglichen das Durchdringen komplexerer Systeme und weitgehend automatisches Erkennen und „Erlernen“ von Korrelationen und gegenseitigen Abhängigkeiten einer Vielzahl unterschiedlicher Variablen. Durch den umfassenden Einsatz von DRL wird es möglich, dass sich ein Gebäude in all seiner Komplexität in Echtzeit autonom steuert und jederzeit auf sich verändernde Parameter reagieren kann.

Verschiedene KI-Ansätze in Kombination
Bei der Umsetzung einer KI-Gebäudesteuerung können mehrere dieser KI-Ansätze effizient kombiniert werden. Large Language Models (LLM) übernehmen die Auswertung von Protokoll- und Wetterdaten und die Vernetzung der unterschiedlichen Gebäudetechnikkomponenten. Außerdem stellen sie eine Schnittstelle zu den Menschen her, die eine einfache und intuitiv verständliche Kommunikation und Steuerung erlauben. Anschließend kann Supervised Learning zur Programmierung eines virtuellen Gebäudezwillings eingesetzt werden. Durch Reinforcement Learning schließlich wird der „digitale Gebäudemanager“ so trainiert, dass er die passenden und für jede Situation effizientesten Steuerungsstrategien für sämtliche MSR-Parameter (Messen, Steuern, Regeln) erkennt und in Echtzeit selbstständig ausführt.

Das Training der KI geht relativ schnell vonstatten. Die meisten Parameter und Routinen sind innerhalb weniger Tage erlernt. Nehmen wir beispielsweise ein Gebäude in den Blick und sehen uns dort an, wie gut die technische Gebäudeausrüstung gesteuert wird, um die Komfort-Sollwerte in den Räumlichkeiten energetisch effizient einzuhalten. Definieren wir 100 Prozent als die bestmögliche, effiziente Steuerung zu allen Zeitpunkten. Dann kann die KI bereits innerhalb weniger Tage 80 Prozent der Zielsetzung erreichen. Das ist im Vergleich zur Effizienz- und Gebäudeverständnisskala einer herkömmlichen Steuerung in nahezu allen Fällen bereits eine Verbesserung. Für die „letzten“ 20 Prozent dauert es naturgemäß schon deswegen länger, weil es zum Beispiel auch jahreszeitliche Veränderungen zu berücksichtigen gilt. 100 Prozent werden allerdings nie erreicht, da auch die KI nicht für alle Eventualitäten, etwa bauliche Veränderungen, vorbereitet werden kann. Sie kommt diesem Wert aber sehr nahe, da sie niemals ausgelernt hat, sondern stetig nachtrainiert und optimiert wird.

Skalierbarkeit dank Cloud-Lösung
Dieses Training muss für jedes Gebäude neu vorgenommen werden, denn jede Immobilie und ihre spezifischen Standortbedingungen sind individuell. Dafür ist eine passende Systemarchitektur notwendig, die auf der Datensammlung, -aufbereitung und -speicherung sowie dem KI-Training und der Ausführung des trainierten KI-Agenten im Gebäude fußt. Je standardisierter und automatisierter jeder dieser Schritte ist, desto besser lässt sich das Ergebnis auch auf ein größeres Portfolio skalieren.

Dazu kann auch eine Cloud-basierte Gebäudesteuerungs-KI beitragen, die für ein größeres Portfolio skalierbar ist: Bestimmte Muster und Kausalitäten lassen sich von einem auf andere Gebäude übertragen, sodass auch eine selbstlernende KI „das Rad nicht jedes Mal neu erfinden“ muss. Die Vernetzung mehrerer Gebäude untereinander macht es auch denkbar, dass es in Zukunft ein „smartes Quartier“ gibt, indem benachbarte Immobilien auch untereinander kommunizieren und zum Beispiel Daten austauschen. Dennoch ist es unabdingbar, die entscheidenden individuellen Daten sowie die Steuerung in einer Hard- und Softwareeinheit immer direkt am Gebäude vorzuhalten. Den Gebäudebetrieb vollständig aus der Cloud heraus zu steuern, wäre fehleranfällig und riskant.

Schon heute sind viele Gebäude nicht mehr „nur“ Energieverbraucher, sondern auch Erzeuger: Vor allem Photovoltaikanlagen, zum Teil aber auch andere erneuerbare Ressourcen am Objekt erzeugen Strom, der als Allgemein- oder Mieterstrom verbraucht wird, über eine Ladestation die Batterien der Elektrofahrzeuge in der Tiefgarage auflädt oder ins Stromnetz eingespeist werden kann. Diese Entwicklung vergrößert die Komplexität der Gebäudesteuerung um eine zusätzliche Ebene, die durch KI effizient gesteuert und in die gesamte Gebäudesteuerung integriert werden kann.

Mieter und Vermieter müssen kooperieren
Eine mögliche Hürde bei der Umsetzung einer Gebäudesteuerungs-KI ist das „Mieter-Vermieter-Dilemma“. Dabei geht es erstens um die Frage, wer die Verantwortung für die Implementierung eines Energiemanagementsystems übernimmt und wer die Investitionskosten trägt. Gerade wenn es um die Energieeffizienz geht, ist in der Regel der Mieter der unmittelbare Hauptprofiteur. Effizient umsetzen kann es jedoch nur der Vermieter beziehungsweise von ihm beauftragte Dienstleister. Alles andere wäre zum Beispiel bei einer Multi-Tenant-Immobilie mit mehreren Mietern gar nicht praktikabel.

Zweitens besteht dieses Dilemma darin, dass manche Mieter unter Umständen nicht gewillt sind, bestimmte Nutzungs- und Verbrauchsdaten dem Vermieter mitzuteilen. Diese Daten wären allerdings für einen effizienten Gebäudebetrieb äußerst hilfreich. Und drittens muss sich der Mieter auch in seinem Nutzungsverhalten kooperativ zeigen. Was nutzt die beste KI-gesteuerte Gebäudetechnik, wenn im Winter bei voll aufgedrehter Heizung das Fenster manuell geöffnet wird und permanent offensteht?

Eine konstruktive Kooperation von Mietern und Vermietern ist deshalb erforderlich. Letztlich profitieren beide Seiten: Der Mieter von einer effizienteren und „grüneren“ Fläche bei geringeren Nebenkosten, und der Vermieter von einem attraktiveren Asset, das in der Regel besser vermarktbar sein und tendenziell höhere Mieteinkünfte generieren dürfte. Wichtig dabei ist für die Vermieter eine von Anfang an offene und transparente Kommunikation mit den Mietern.

Immobilien wird ein Geist eingehaucht
Besonders großes Optimierungspotenzial kann eine KI-gesteuerte Gebäudetechnik bei Gewerbeimmobilien realisieren, vor allem bei Büros. Dort ist ein im Vergleich zu Wohnimmobilien relativ großer Teil der Gebäudesteuerung technisiert. Zudem gibt es große Schwankungen bei der Nutzungsintensität und eine Vielzahl an Nutzern, die schwer dazu anzuhalten sind, sich im Alltag in Bezug auf den Energiebedarf stets optimal zu verhalten.

Durch die KI kann einem Gebäude dereinst gewissermaßen ein „Geist eingehaucht“ werden. So könnte in einer Zukunftsvision die Gebäudesteuerung durch den Menschen dank Language Learning Models intuitiv und kommunikativ werden: Ist jemandem in einem Gebäude kalt, dreht er heute die Heizung auf oder macht das Fenster zu. Vielleicht reicht es künftig, zu sagen: „Mir ist kalt.“ – und die Gebäudetechnik weiß, was sie zu tun hat, und zwar unter Berücksichtigung größtmöglicher Energieeffizienz. Damit wird das Gebäude der Zukunft zu einem Interakteur.

Dieser Beitrag erschien am 11.10.2024 in der Immobilien & Finanzierung.

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