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Der Wohnungsbau-Schlamassel und seine Lösung in Zahlen

30. Jun 2023

Ingo Weiss  |  DRIVEN

Wegen massiv gestiegener Zinsen und Baukosten müssen Projektentwickler von Wohnimmobilien nun Mieten verlangen, die für viele unerschwinglich sind. Dabei ginge es anders. Wie? Diese Berechnung zeigt es.

Als Projektentwickler ist es unser Metier, Neubauten zu aktuellen Marktkonditionen zu kalkulieren. Wir haben berechnet, wie teuer eine Neubauwohnung mit 80 Quadratmetern in der Vermietung mindestens sein muss, um die Baukosten inklusive der gestiegenen Zinsen sowie eine marktgerechte Projektentwicklervergütung zu erzielen.

Das Ergebnis ist eine knallharte Ansage: 25,80 Euro pro Quadratmeter, kalt. Die 80-Quadratmeter-Wohnung würde also monatlich über 2.000 Euro kosten, zuzüglich Heizkosten läge die Warmmiete schnell bei 2.300 Euro. Für weite Teile der Bevölkerung ist das nicht teuer, sondern unerschwinglich. Unter der Annahme, dass ein Haushalt für die Miete höchstens 30 Prozent des Nettoeinkommens aufwenden sollte, ergibt sich daraus ein notwendiges Bruttomonatseinkommen von rund 13.500 Euro beziehungsweise 7.700 Euro netto.

Doch die Zahlen lügen nicht. Ein Investor, der die Wohnung vermietet, erwartet auf sein eingesetztes Eigenkapital eine Vor-Steuer-Rendite von rund 4,5 Prozent. Ist es weniger, wird er das Projekt gar nicht in Angriff nehmen. Damit ist dann auch niemandem gedient.

Deutliche Mehrkosten beim Neubau
Soll die Wohnung nicht vermietet, sondern als Eigentum angeboten werden, sieht es nicht besser aus. Beim Kauf solch einer Wohnung muss ein privater Käufer nach unserer Kalkulation etwa 456.000 Euro bezahlen.

Hinzu kommen im Beispiel 6,0 Prozent Grunderwerbsteuer (Steuersatz in Berlin), 1,5 Prozent Notar- und Grundbuchkosten sowie 0,5 Prozent für die Prüfung. Zusammen mit den Nebenkosten sind das insgesamt fast 493.000 Euro. Bei einer unterstellten 80-prozentigen Finanzierung mit 3,5 Prozent Zinsen ermitteln wir insgesamt circa 1.450 Euro als monatliche Zinsbelastung. Hinzu kommt die Tilgung in Höhe von circa 825 Euro. Außerdem wären fast 128.000 Euro Eigenkapital notwendig.

Neu zu bauen ist für breite Schichten der Bevölkerung viel zu teuer geworden. Ohne durchgreifende Maßnahmen müssten Mieten ins Unbezahlbare steigen. Für Projektentwickler, potenzielle Vermieter als auch Mieter führt ein „Weiter so“ in den Abgrund. So wird der Neubau schleichend sterben.

Handlungsoptionen, um Mieten bezahlbar zu machen
Die gute Nachricht: Es geht anders. Wir haben für verschiedene mögliche Förderungen einmal durchgerechnet, welchen Effekt sie hätten. Vier Maßnahmen bieten sich besonders an:

1.Steuern runter: Bis auf Bayern haben in den vergangenen Jahren alle Bundesländer die Grunderwerbsteuer erhöht. In fünf Ländern müssen mittlerweile 6,5 Prozent auf den Kaufpreis gezahlt werden. Hamburg hat zuletzt auch erhöht – und zwar auf 5,5 Prozent. Gleichzeitig sollten Familien entlastet werden, doch das hat der Stadtstaat doch nicht umgesetzt.

Nun hat der hessische Ministerpräsident, der in diesem Jahr eine Wahl gewinnen will, das „Hessengeld“ beim Immobilienkauf versprochen: ein Zuschuss von 10.000 Euro pro Erwerber und weiteren 5.000 Euro pro Kind. Perspektivisch soll beim erstmaligen Immobilienerwerb überhaupt keine Grunderwerbsteuer mehr anfallen. Das ist eine zielführende Idee, die hoffentlich auch Realität wird und dann eine bundesweite Signalwirkung hätte.

Der Fiskus profitiert zudem bereits von den gestiegenen Baukosten. Schließlich sind auf diese 19 Prozent Umsatzsteuer zu zahlen. Nehmen wir an, dass die Grunderwerbsteuer beispielsweise bei einem erstmaligen Immobilienerwerb auf null reduziert wird und zusätzlich die Mehrwertsteuer auf Baukosten von 19 auf sieben Prozent ermäßigt wird. Mit diesen beiden steuerlichen Maßnahmen könnte die notwendige Miete aus unserem Beispiel immerhin auf 22,60 Euro pro Quadratmeter reduziert werden, also 3,20 Euro weniger. Das wäre eine spürbare Entlastung.

2. Digitalisierung nutzen: Eine weitere Annahme betrifft die Bauämter. Dort herrscht noch ein immer wilder wuchernder Dokumentendschungel vor – mit verschiedensten Ansprechpartnern und zu oft noch in Papierform. Würde die gleiche Anzahl an Mitarbeitern aufgrund digitaler Prozesse mehr Bauanträge bearbeiten können, könnte die Projektlaufzeit um ein halbes Jahr auf dann zweieinhalb Jahre verkürzt werden. Eine solche Verkürzung bedeutet für den Projektentwickler weniger Personalkosten und vor allem weniger Finanzierungskosten – beide Posten fallen schließlich über die gesamte Projektlaufzeit an. Isoliert betrachtet bringt das allein eine Reduzierung des nötigen Quadratmeterpreises um immerhin 60 Cent.

3. KfW-Förderung einbinden: Seit Juni gibt es zinsvergünstigte Darlehen von der KfW im Programm „Wohneigentum für Familien“, wenn die Familie ein KfW-40-Haus neu baut. Leider darf sie aber mit einem Kind über höchstens 60.000 Euro Brutto-Jahreseinkommen verfügen. Mit so einem mittleren Einkommen kann sie in der Realität die hohen Baukosten kaum stemmen. Die Förderung ist so realitätsfern und verpufft.

Die KfW-Förderung müsste daher deutlich verbessert werden. Nehmen wir an, Privatpersonen und Unternehmen, die in einen klimafreundlichen Neubau investieren, bekommen einen günstigen Zins von 1,8 Prozent auf ein endfälliges Darlehen von höchstens 150.000 Euro. Endfällig heißt, dass während der Kreditlaufzeit nur Zinsen anfallen, keine Tilgung.

Zusätzlich unterstellen wir einen Tilgungszuschuss von 50.000 Euro, der die Baukosten entsprechend reduziert. Diese Maßnahmen würden die Gesamtinvestitionskosten von 4.961 Euro auf 4.336 Euro pro Quadratmeter senken. Folglich reduziert sich der Zins des Investors von 3,5 auf 2,4 Prozent und der Zins des privaten Wohnungskäufers von 3,5 auf 2,6 Prozent. Die notwendige Miete könnte so unter 20 Euro pro Quadratmeter gedrückt werden, genauer: auf 19,90 Euro. Eine optimierte KfW-Förderung könnte also durchaus eine größere Stellschraube darstellen.

4. Zinssenkung wirkt: Schließlich haben wir berechnet, wie sich gesunkene Zinsen auswirken würden. Die Projektentwicklerzinsen haben wir von 6,0 auf 3,0 Prozent halbiert und die Bestandshalterzinsen von 3,5 auf 2,5 Prozent gesenkt. Isoliert betrachtet würde dadurch die notwendige Miete von 25,80 auf 21,20 Euro pro Quadratmeter fallen.

Anders wird es nicht funktionieren!

In unserer Basiskalkulation ermitteln wir für Mieter ein notwendiges Bruttomonatseinkommen von 13.500 Euro beziehungsweise 7.700 Euro netto. Würden jedoch alle vorgestellten Maßnahmen umgesetzt werden, würden 8.500 Euro brutto und 5.000 Euro netto genügen. Auch das deckt zwar noch nicht die breite Masse ab. Aber immerhin könnten sich deutlich mehr Haushalte als heute einen Neubau leisten – sei es als Mieter oder sogar als Eigentümer.

In Wahrheit wird die Anforderung, Mieter sollten höchstens 30 Prozent ihres verfügbaren Einkommens aufbringennicht eingehalten. In deutschen Großstädten muss bereits fast die Hälfte der Haushalte mehr als 30 Prozent ausgeben. Bei rund 26 Prozent waren es sogar mehr als 40 Prozent, ergab eine Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2021, die hierfür Daten aus dem Mikrozensus von 2018 verwendete.

Sehr hohe Mieten gehören zur neuen Wirklichkeit. Auch in Deutschland werden sich Mieterhaushalte daran gewöhnen müssen, dass sie einen größeren Teil ihres verfügbaren Einkommens für ein angenehmes Wohnen werden aufwenden müssen. Bei hohem Zuzug aus dem Ausland und einem fortgesetzten Trend zu Singlehaushalten muss weiterhin neuer Wohnraum gebaut werden.

Es braucht sowohl steuerliche Maßnahmen, eine beschleunigte Bauantragsbearbeitung, eine verbesserte KfW-Förderung als auch niedrigere Zinsen, damit sich der Neubau wieder lohnt. Steuerermäßigungen und eine optimierte KfW-Förderung mit einem Tilgungszuschuss zeigen in unseren Berechnungen die größte positive Wirkung. Eine einzelne Maßnahme allein genügt leider nicht, um bezahlbare Mieten zu garantieren. Dafür müssen möglichst viele der vorgestellten Einzelmaßnahmen greifen.

Nur wenn alle vier dargestellten Maßnahmenpakete realisiert werden, sinkt die erforderliche Miete auf ein einigermaßen erträgliches Maß von 15,70 Euro pro Quadratmeter.

Dieser Artikel erschien online am 27.06.2023 auf wiwo.de.

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