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Häuser gegen den Klimawandel

28. Nov 2021

Patrick Herzog  |  DKW

Das nachhaltigste Bauwerk ist eines, das nie abgerissen werden muss. Um dies zu erreichen, müssen Entwickler ihren Fokus verlagern – weg von den Bedürfnissen des ersten Nutzers und hin zum nutzungsneutralen Bauen. Denn um die Klimaerwärmung zu stoppen, muss die Gesellschaft den Immobiliensektor viel stärker als bisher in die Pflicht nehmen. Gebäude sind für mehr als ein Drittel der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich.

Vieles wird auch schon getan, doch die Maßnahmen fokussieren sich zu stark auf die Nutzungsphase von Bauten. Im Vordergrund steht bislang die Energie, die Bewohner oder gewerbliche Nutzer brauchen: Der Fokus liegt auf Themen wie Wärmedämmung oder dem Einsatz erneuerbarer, emissionsneutraler Energien.

Graue Energie erhöht den Verbrauch
Damit ist aber nur der kleinere Teil des ökologischen Fußabdrucks eines Gebäudes umrissen. Ein Großteil des Energieverbrauchs entfällt auf die sogenannte graue Energie, die bei Herstellung, Transport und Verarbeitung der Baumaterialien aufgewendet wird. Um diesen Faktor zu verringern, achtet die Bau- und Immobilienbranche richtigerweise zunehmend auch auf die Klimabilanz der verwendeten Materialien.

Es ist jedoch falsch, den ökologischen Fußabdruck für die Errichtung eines Gebäudes als reine Zahl zu betrachten. Denn er relativiert sich mit dessen Nutzungsdauer: Wenn ein Gebäude 80 statt 40 Jahre lang genutzt wird, ist seine klimaschädliche Auswirkung im Jahr nur halb so groß. Trotzdem werden Gebäude immer noch meist für eine Lebensdauer von wenigen Jahrzehnten konzipiert. Diese ist oftmals nicht technisch bedingt, sondern wirtschaftlich. Das Bauwerk ist zwar noch funktionsfähig, aber wegen veränderter Anforderungen nicht mehr effizient nutzbar. Um eine Umnutzung zu realisieren, zum Beispiel von Büro zu Wohnen oder umgekehrt, wird in Teilen ein völlig neues Gebäude benötigt. Es muss deshalb abgerissen oder zumindest weitgehend entkernt und völlig neu ausgebaut werden. Dabei geht ein Großteil der grauen Energie verloren. Aus ökologischer Sicht ist das ein Albtraum. Denn das nachhaltigste Gebäude ist schließlich eines, das nie abgerissen wird.

Nutzungsneutrales Bauen
In der Konsequenz muss die Art und Weise, wie wir planen und Gebäude bauen, neu gedacht werden. Die Nutzungsart darf nicht über Jahrzehnte hinaus festgelegt werden, es muss vielmehr nutzungsneutral gebaut werden. Eine Umnutzung ist dann mit geringem Aufwand möglich, denn ein möglichst großer Teil der Grundstruktur bleibt erhalten.

Zum nutzungsneutralen Planen und Bauen gehört zum Beispiel ein weitestmöglich offener Grundriss, der unterschiedlich aufgeteilt werden kann. Auch eine Planung der Haustechnik, die verschiedene spätere Nutzungen mitdenkt, ist Teil dieser Philosophie. Die Gebäudestruktur wird damit zur Plattform, die für unterschiedlichste Nutzungen ausgebaut werden kann. Das führt zu einem verkleinerten ökologischen Fußabdruck und einer enormen Verlängerung der gesamten Lebensdauer des Bauwerks. Die maximale Effizienz aus Nutzersicht wird einer Flexibilisierung der zukünftigen Nutzung geopfert – für Investoren bedeutet das eine zusätzliche Sicherheit in sich immer schneller ändernden Marktumfeldern.

Die Politik ist gefordert
Damit sich das neue Denken durchsetzen kann, sollte auch die Politik umdenken. Die finanzielle Förderung nachhaltigen Bauens, die sich bislang zu sehr auf die Energieeffizienz während der Nutzung konzentriert, muss sich dahin gehend verändern, dass sie die gesamte Lebensdauer eines Gebäudes berücksichtigt. Nutzungsneutralität und damit eine möglichst lange geplante Nutzung sollten als Faktoren ausdrücklich gewürdigt und im Genehmigungsprozess verlangt werden. Wenn der Kampf gegen den Klimawandel im Gebäudesektor konsequent und langfristig geführt werden soll, ist es unumgänglich, von Projektentwicklern Nachweise über die Lebensdauer und die damit verknüpften Nutzungsmöglichkeiten zu verlangen.

Dem steht allerdings entgegen, dass die Kommunen noch meist in Monokulturen denken und entsprechende Flächennutzungspläne verabschieden. Genehmigt werden meist Wohngebäude in Wohngebieten sowie Gewerbebauten in Gewerbegebieten. Das erschwert eine spätere Umnutzung und verhindert die Entstehung attraktiver Quartiere mit gemischter Nutzung. Würden Gesetzgeber und Behörden bewusst Nutzungsneutralität als Nachhaltigkeitsfaktor berücksichtigen, würde nicht nur der ökologische Fußabdruck der Gebäude erheblich kleiner werden. Auch für eine nachhaltige Stadtentwicklung wäre viel gewonnen. Nötig sind dafür etwas mehr Mut und Vertrauen der Kommunen in die Immobilienwirtschaft und mehr Verantwortung seitens unserer Branche.

Dieser Artikel erschien am 26.11. in der FAZ.