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ESG-Zertifikate – BREEAM, LEED oder DGNB?

19. Jan 2024

Jens Böhnlein MRICS  |  Commerz Real

In Zeiten von Klimawandel und internationalen Anstrengungen zur nachhaltigen Transformation der Wirtschaft haben belastbare ESG-Zertifikate eine nicht zu unterschätzende Imagewirkung. Sie geben Auskunft über vorbildliche Praktiken von Unternehmen in den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung und dienen Verbrauchern als verlässliche Orientierung. Doch jedes Land hat eigene Zertifikate oder Anwendungssysteme, was die Frage aufwirft, welches Zertifikat für wen das „richtige“ ist. Jens Böhnlein war als BREEAM- und LEED-Auditor tätig und ist mit der Zertifikate-Landschaft bestens vertraut. In seinem Expertenbeitrag bricht er eine Lanze für das oft noch unterschätzte DGNB-Zertifikat.

Den Auftakt machte die 1990 in Großbritannien entwickelte „Building Research Establishment Environmental Assessment Method“, kurz BREEAM. Sie gilt als weltweit am weitesten verbreitete Methode zur Nachhaltigkeitsbewertung von Immobilien und basiert auf einem einfachen Punktesystem. Die maximal 100 Punkte werden von unabhängigen Auditoren nach festgelegten Kriterien inklusive Gewichtung vergeben. Es fließen verschiedenste Gebäudeaspekte vom Energie- und Wasserverbrauch bis hin zum Komfort der Nutzer prozentual in die Bewertung ein und führen je nach erreichter Punktzahl zu einer von fünf Exzellenz-Stufen bei Neubauten beziehungsweise sechs Exzellenz-Stufen bei Bestandsgebäuden. Die 2008 aktualisierte BREEAM-Produktpalette

hat an der Fokussierung auf ökologische Nachhaltigkeit nichts geändert – auch wenn soziale Aspekte seitdem stärker berücksichtigt werden. Mit seinem Green-Building-Ansatz gehört BREEAM zu den werbewirksamen Bewertungsverfahren der ersten Generation.

Zu ihnen zählt auch das 1998 vom U.S. Green Building Council (USGBC) in den USA entwickelte Zertifikat LEED (Leadership in Energy and Environmental Design). Dass es auf BREEAM basiert, ist unschwer an der 100-Punkte-Systematik zu erkennen. Ihr liegen Kriterien aus sechs Kategorien zugrunde: nachhaltige Landnutzung, Wassereffizienz, Energie & Atmosphäre, Materialien & Ressourcen, Innovation & Planungsprozess sowie Aufenthaltsqualität. Die Bewertungskategorien lauten „Zertifiziert“, „Silber, „Gold“ und „Platin“. Mittlerweile ist LEED als Standard für nachhaltiges Bauen gesetzt und wird weltweit in 40 Ländern genutzt – nicht zuletzt als wirkungsvolles Marketinginstrument. Ein Vorteil von LEED gegenüber BREEAM ist die Differenzierung nach unterschiedlichen Bauaufgaben. So gelten für „Neubauten und Sanierungen“, „Investorenmodelle“ sowie „Gemeinden und Städte“ unterschiedliche Kriterienkataloge, die durch eigene Zertifizierungsvarianten Anerkennung finden. Eine weitere Besonderheit bietet die Plattform „LEED online“, da die gebäudespezifisch generierten Daten nicht nur digital aufbereitet, sondern auch als Basisdatensatz für weiterführende Zertifizierungen genutzt werden können.

DGNB punktet mit ganzheitlichem ESG-Ansatz im Kontext der Taxonomie
Auch das 2008 ins Leben gerufene Zertifizierungssystem der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) fußt auf den Erfahrungen der ersten Generation, gilt aber mit seinem Fokus auf die Lebenszyklusanalyse – der Betrachtung der Umweltauswirkungen von der Planung bis zum Abriss eines Gebäudes – und der Gleichgewichtung der Faktoren E, S und G als Bewertungsmethode der zweiten Generation. Ausgehend von dem Ansatz, dass jedes Gebäude und Quartiersprojekt unterschiedliche Phasen mit spezifischen Anforderungen und Beteiligten durchläuft, bietet das DGNB-System verschiedene Varianten, die je nach Projektphase als Planungs-, Optimierungs- oder Managementtool dienen. Es gibt spezielle Systemvarianten für Neubau, Betrieb und Sanierung von Gebäuden sowie für Quartiere, Innenräume, Gebäuderückbau und Baustellen.

Das anspruchsvolle Anliegen, nachhaltiges Bauen praktisch anwendbar, über einen Lebenszykluskostenrechner (LCCC) messbar und damit vergleichbar zu machen, führt zu einer enormen Komplexität, die das DGNB-System deutlich von seinen Vorgängern unterscheidet und auch Anlaufschwierigkeiten nach sich zog. So stieß die Idee, den DNGB-Zertifizierungsrahmen zum Baustandard für Deutschland zu etablieren, zunächst auf wenig Gegenliebe. Selbst als Norm für öffentliche Bauten wurde er nicht angenommen. In der Prä-Taxonomie-Ära wurden die von der deutschen Ingenieurskunst inspirierten DGNB-Parameter oftmals als zu kompliziert empfunden.

Doch das hat sich mittlerweile geändert, denn Zertifikate dienen längst nicht mehr nur der Imageaufwertung und dem Marketing. In Gesellschaft, Politik und am Kapitalmarkt hat ein Bewusstseinswandel stattgefunden, dem sich die Immobilienwirtschaft nicht verschließen kann. Und den sie inzwischen auch nicht mehr ignorieren will. Ein Indiz dafür ist die wachsende Zahl von Unternehmen, die sich zu „Net Zero“-Commitments verpflichten, die UN Principles for Responsible Investment (UN PRI) unterzeichnen oder ihre Investmentvehikel zertifizieren lassen. Nachhaltiges Bauen ist nicht mehr nur „en vogue“, sondern ein „Must-have“, das von Nutzern, Investoren und nicht zuletzt von der Regulierung gefordert wird.

Regulierung verlangt mehr als Vermarktung
Die im März 2021 in Kraft getretene EU-Offenlegungsverordnung (Sustainable Finance Disclosure Regulation, kurz SFDR) sowie die seit Januar 2022 verbindliche EU-Taxonomieverordnung sind Meilensteine auf unserem Weg zu einer nachhaltigen Finanzwirtschaft. Spätestens seit Vermögensverwalter und Anlageberater gemäß SFDR Nachhaltigkeitsrisiken und wesentliche negative Auswirkungen offenlegen und ihre Produkte als Artikel-6-, Artikel-8- oder Artikel-9-Investments klassifizieren müssen, ist in der Branche ein wachsender Ehrgeiz in puncto Nachhaltigkeit zu beobachten. Und da kommen die Zertifikate ins Spiel – allen voran das facettenreiche DGNB-Zertifizierungssystem. Denn es steht eben nicht das Marketing im Vordergrund, sondern der Anspruch, ein gutes – also nachhaltiges – Haus zu bauen.

Seit seinem Launch im Jahr 2008 – damals noch als Deutsches Gütesiegel Nachhaltiges Bauen – hat sich das DGNB-Zertifizierungssystem kontinuierlich weiterentwickelt. Mittlerweile ist es zudem so gut mit den Kriterien der EU-Taxonomie harmonisiert, dass der Nachweis der Konformität – die sogenannte ESG-Verifikation – ohne größeren Aufwand parallel zur Zertifizierung erfolgen kann. Gleiches gilt ohne großen Mehraufwand für Dokumentationen nach dem EU-Berichtsrahmen Level(s). Auch Fördermittel können über das DGNB-System beantragt werden – unter anderem, weil es vom Bund als Nachweisinstrument für die Erlangung des Qualitätssiegels Nachhaltiges Gebäude (QNG) und der damit verbundenen Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) akzeptiert wird.

Erfolgreich über Deutschlands Grenzen hinaus
Mit seinem substanzbasierten, ingenieursgetriebenen Ansatz gilt das DGNB-Zertifizierungssystem weltweit nicht nur als das fortschrittlichste, es ist auch international als „Global Benchmark for Sustainability“ anerkannt. In Deutschland ist es mit einem Anteil von mehr als 80 Prozent im Neubau und über 60 Prozent im Gesamtmarkt der Gewerbeimmobilien unter den Zertifikate-Anbietern ohnehin Marktführer. Bei der Zertifizierung von Quartieren hat die DGNB europaweit die Nase vorn. Und auch im außereuropäischen Ausland holt die Gesellschaft mit großer Dynamik auf. Denn bei aller Komplexität ist das System so durchdacht, dass es sich leicht an die klimatischen, baulichen, rechtlichen und kulturellen Besonderheiten anderer Länder anpassen lässt. Nicht nur die enge Zusammenarbeit mit führenden lokalen Organisationen, sondern auch länderspezifische Systempartnerschaften ebnen den Weg für internationale DGNB-Zertifizierungen.

In Sachen Popularität hat die DGNB-Zertifizierung gegenüber BREEAM und LEED noch Nachholbedarf. Unserer Ansicht nach ist das aber nur noch eine Frage der Zeit. Ein DGNB-Zertifikat in Platin, Gold, Silber oder Bronze signalisiert Gebäudenutzern aktiven Gesundheitsschutz, garantiert den Mietern geringere Nebenkosten, weist die langfristige Nutzbarkeit des Gebäudes nach, garantiert eine langfristig attraktive Investition, eröffnet den Zugang zu Fördermitteln und Krediten und steht für die Anpassung an aktuelle und zukünftige Baustandards. Natürlich mit unterschiedlichen Erfüllungsgraden. Der DGNB-Gold-Standard ist für Neubauten als offizielle Benchmark durchaus denkbar. Zum einen, weil es noch keine offizielle Definition für ein ESG-Gebäude gibt, zum anderen, weil ein Zertifikat als Nachweis für Nachhaltigkeit auch für Laien verständlich ist. Im Idealfall kann sogar die von der Taxonomie geforderte Transparenz automatisch erfüllt werden.

Dieser Artikel erschien am 15.01.2024 online auf Immobilienmanager.de.

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