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Die Innenstädte werden bunter

12. Jul 2021

Jan Dirk Poppinga  |  CBRE

Was wir seit Beginn der Corona-Pandemie erleben, ist die Entwicklung der kommenden Jahre im Zeitraffer, genauer gesagt: Trends, über die wir in den vergangenen Jahren nur diskutiert haben, werden gerade über Nacht zu unserer innerstädtischen Wirklichkeit. Viele etablierte privat geführte Einzelhändler, die den Charme jeder Innenstadt ausmachen, haben in den vergangenen Monaten mit Aushängen gemahnt, dass sie nach dem Ende der Pandemienotbremsen schlicht nicht wieder werden öffnen können. Jetzt haben sie wieder auf – doch die Euphorie bleibt aus.

Eigentümer, Investoren und Finanzierer werden und müssen zwar dagegenhalten und auf die stationäre Konsum-Party verweisen, die uns in den kommenden Monaten nach dem Lockdown und mit der steigenden Impfquote erwartet – vielleicht geht dieser kollektive Kaufrausch sogar bis Weihnachten. Aber was dann? Auch die letzten Konsumenten haben sich in den vergangenen zwölf Monaten daran gewöhnt, online zu bestellen.

Trotz alledem ist der ‚analoge‘ Einzelhandel keineswegs Geschichte, denn nun drängt der Internethandel selbst in die Innenstädte. Zum einen beobachten wir, wie Onlinehändler und Lieferdienste freiwerdende Erdgeschossflächen in innerstädtischen B-Lagen anmieten, um ihre Waren von dezentralen Hubs aus innerhalb kürzester Zeit zum Kunden zu bringen. Zum anderen nutzt der Onlinehandel die Chance der gefallenen Mietpreise, um Flächen für stationäres Marketing anzumieten. Was vorher kaufmännisch nicht darstellbar war, funktioniert plötzlich. Mit Flagships in typisch urbanen Lagen lassen sich Produkte und Unternehmen weitaus erfolgreicher und mit weniger Aufwand bewerben als über die inzwischen ebenfalls sehr kostspielige Onlinewerbung. Es wird also wieder bunter in den Innenstädten, und dazu wird kurioserweise gerade der Onlinehandel beitragen.

Eine große Herausforderung bleibt indes: die überbordende Geschossigkeit auf der High Street. Die Zeit, in der der Einzelhandel über mehrere Stockwerke über- und unterirdisch agieren konnte, ist nicht überall vorbei, aber hat ihren Zenit aber definitiv überschritten. Die neue Normalität einer erfolgreichen Innenstadt werden neue ‚Showrooms‘ auf Straßenebene und andere Nutzungsarten für die Etagen drunter und drüber sein. Das wird unmittelbare Auswirkungen auf die Frequenzen in unseren Innenstädten haben. Aber ich bin mir ganz und gar nicht sicher, ob diese zum Schlechteren ausfallen werden, da Gewerbe, Wohnen, Service, Gastronomie, Sport, Event und Entertainment so deutlich näher zusammenrücken können.

Shoppingcenter könnten von diesem Mix sogar profitieren, weil sie viele dieser Dienstleistungen bereits unter einem Dach bieten – mit einem Aber: Diejenigen Center, die schon vor der Krise mit Problemen zu kämpfen hatten, werden nun erst recht straucheln. Center mit gutem Fundament können die aktuelle Krise hingegen zur Profilschärfung und Serviceerweiterung nutzen.

Dieser Artikel erschien am 9.7. auf HANDELSBLATT INSIDE REAL ESTATE.