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Neue Büroarchitektur: Anpassungsfähigkeit als Chance

9. Jun 2023

Stefan Höglmaier  |  Euroboden

Zeitgemäße Architektur muss den Widerspruch zwischen permanenter räumlicher Veränderung in modernen Büros und energetischer Bewahrung auflösen. Wenn wir heute über die Konzeption von Bürogebäuden sprechen, sind wir mit scheinbar widersprüchlichen Trends konfrontiert: Einerseits zwingt uns die Klimakrise dazu, Gebäude so zu planen, dass die für ihre Realisierung aufgewendete graue Energie möglichst lange erhalten bleibt. Zukünftigen baulichen Veränderungen oder gar Rückbau muss also zwingend vorgebeugt werden. Andererseits erleben wir einen rasanten gesellschaftlichen Wandel, der – Stichwort New Work und Work-Life-Blend – immer neue Lebens- und Arbeitsmodelle hervorbringt. Räumliche Veränderung wird permanent eingefordert und ist somit vorprogrammiert. Auch über Nutzungsarten hinweg. Der Widerspruch zwischen energetischem Bewahren und räumlicher Veränderung lässt sich mit zeitgemäßen Architekturkonzepten jedoch durchaus auflösen: Die Bürogebäude von morgen müssen mehr denn je das Verhältnis von Struktur und Interior neu verhandeln – mit dem Ziel, Adaptivität und Flexibilität zur Maxime zu machen.

Vom Kino- bis Gebetsraum: Wie wir Büros heute nutzen
Oft genug wird in der Büronutzung die Frage nach Flexibilität schon während einer Nutzungsperiode gestellt, also noch während der Dauer eines Mietvertrags. Denn in Zeiten von New Work ergeben sich permanent neue Raumkonfigurationen – zuletzt waren es Telefonzellen, Gemeinschaftsküchen, Coworking-Umgebungen, Lounge-Areas. Aktuell drehen sich die gefragten Interior-Typologien teilweise erheblich weiter und gehen je nach Unternehmenskultur und Mitarbeiterbedürfnissen bis hin zu Fitnessflächen, zu Kino- und sogar zu Gebetsräumen direkt zwischen den Arbeitsflächen. Denn Unternehmen mieten heute nicht mehr für Unternehmen, sondern für die Menschen in den Unternehmen – die oftmals raus aus dem Homeoffice wollen, um den Austausch vor Ort zu suchen. Für die Menschen, die das Büro als Ort der Begegnung sehen und den Spirit ihrer Teams und Kollegen nicht nur virtuell spüren möchten. Die sich durch das Büro wertgeschätzt und unterstützt fühlen: Denn es geht bei New Work mehr als alles andere um das „psychologische Empowerment der Mitarbeitenden“, wie das New-Work-Barometer 2022 der SRH Berlin University of Applied Sciences erhoben hat. Moderne Bürogebäude müssen das spiegeln und größtmögliche Mehrwerte bieten. Sie müssen den aktuellen Wandel flexibel abbilden können.

Flexibel, aber nicht banal
Und weiter: Die Büroimmobilie muss offen bleiben für künftig sich weiter verändernde Bedürfnisse, die wir heute noch nicht kennen, und darüber hinaus für die bereits erwähnten dritten Nutzungen. Letztendlich brauchen wir daher die buchstäblich freigeräumte Innenfläche, auf der alles möglich ist. Aber wie schafft man es, dass die resultierende Gebäudetypologie durch die innere Eigenschaftslosigkeit nicht insgesamt banal, beliebig und identitätslos wird? Die jahrelange Schwemme an flexibel nutzbarer, aber leider auch architektonisch austauschbarer Büroarchitektur unterstreicht die Bedeutung dieser Frage. Eine mögliche Antwort: Wenn sich die geforderte Flexibilität vor allem auf der Interior-Ebene manifestiert, dann müssen die Gebäudehülle und die Außenräume die adressbildenden und identitätsstiftenden Elemente der „Alleskönner“ mit ihren radikal reduzierten Grundrissen sein.

Die Hülle als neuer Aktionsraum
So bieten sich Hülle und Außenraum unter anderem als zusätzliche Orte der Begegnung und Kommunikation an: ein Flachdach mit silhouettenprägender Freitreppe für Entspannungsmomente. Oder umlaufende, miteinander verbundene Austritte als ins Freie vorspringende Galerien; wie eine Neuerfindung der Laubengänge, die aktuell in der Büroarchitektur eine Renaissance erfahren. Oder eine vertikale, außenliegende Erschließung der Geschosse als Plaza, auf der sich unterschiedliche Menschen begegnen und inspirieren können: allesamt Gebäudeteile, die in dienender Funktion um die „eigentliche“, freigeräumte Nutzfläche herum angeordnet sind und zu prägenden Elementen einer neuen Architektursprache werden. Sich nähernde Betrachter begreifen die Lesbarkeit und Erinnerbarkeit solcher Fassaden sofort als ästhetisches Unterscheidungsmerkmal: „Ich kenne kein anderes Bürogebäude, das hier vergleichbar ist“, sagte kürzlich ein Immobilienvermittler mit Blick auf die konsequent umlaufenden Austritte einer Büroimmobilie vor den Toren Münchens. „Anders als dort, wo Unternehmen eher halbherzig in die Mietverhandlung gehen, ist hier von Anfang an eine Überzeugung da.“

Eine neue Büroarchitektur entsteht
Die hier genannten Beispiele fördern auf natürlichem Wege eine Gemeinschaft und Nachbarschaft, egal ob bei Arbeits- oder Wohnkonzeption, und machen mühsame Community-Building-Programme obsolet. Und Gemeinschaft wiederum ist Identität. Somit kann Architektur, auch wenn sie – um zukunftsfähig zu sein – im Inneren einer weißen Leinwand gleichen muss, gerade deshalb von außen betrachtet höchst identitätsstiftend wirken. Sozial und zugleich auch ästhetisch durch die Entdeckung der Hülle als innovativer Aktionsraum. Gleichzeitig garantiert ihre innere Adaptivität eine möglichst lange Lebensdauer und Sicherung ihrer grauen Energie im Dienst einer größtmöglichen Nachhaltigkeit.

Dieser Artikel erschien am 31.05.2023 online auf immobilienmanager.de.

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