Wir brauchen Brücken zwischen den Insellösungen
7. Dez 2023
7. Dez 2023
Umdenken ist gefragt – jeder muss seinen Teil dazu beitragen und bereit sein, gemeinsame Branchenstandards zu akzeptieren und aktiv zu nutzen
Die Immobilienbranche steht nicht in dem Ruf, Transformationsvorreiter bei Digitalisierung und datengetriebener Transformation zu sein. Halb im Scherz bezeichnet sich die Branche manchmal selbst als digitalen Dinosaurier. Doch so pauschal ist dieses Bild nicht mehr richtig: Immer mehr Unternehmen passen ihre Geschäftsmodelle aufgrund intrinsischer Motivation oder regulatorischem Druck an. Trotzdem muss man noch immer konstatieren: insgesamt zu wenig, zu langsam, zu zögerlich. Woran liegt’s?
Ohne Daten keine Transformation
Bei einigen Marktteilnehmern ist die Transformation noch nicht in die DNA übergegangen. Viel zu oft wird ESG (Environment, Social, Governance – kurz ESG) noch als „Gedöns“ und unnötiger Kostenfaktor abgetan. Dabei ist es schon längst ein strategisches Thema geworden, mit dem sich Unternehmen befassen müssen, ob sie wollen oder nicht. ESG ist kein Luxus und sorgt auch nicht für „Green Premiums“, es ist schlicht das „New Normal“.
Zu oft fehlt es Unternehmen noch an belastbaren Daten, um konsequente Nachhaltigkeitsstrategien zu verankern und mit Immobilienbeständen zu arbeiten. Neue Technologien können mit fortlaufenden Datenauswertungen Compliance-, Regulatorik- und Investitionsrisiken erkennen und bewerten. Gerade in einem Umfeld immer strengerer und komplexerer ESG-Regulatorik kann die Verfügbarkeit und Analyse von Daten mithilfe von modernen Applikationen das Risikomanagement bedeutend entlasten und verbessern.
Großes Misstrauen
Das setzt aber eine konsequente Datenerfassung der Immobilienunternehmen voraus. Nur ein Bruchteil aller Gebäude ist in Deutschland mit intelligenten Erfassungssystemen für den Energieverbrauch ausgestattet und es herrscht ein großes Misstrauen gegenüber dem unternehmensüberschreitenden Datenaustausch. Synergien, die aus einer Kollaboration, dem gegenseitigen Lernen und einer breiteren Datenanalyse von Branchendaten entstehen, werden von einem Großteil der Branche ausgeblendet. Daten werden geschützt wie Geschäftsgeheimnisse – ihre größte Wirkung entfalten sie aber meist nur im gegenseitigen Austausch.
Im Jahr 2023 gehen mit jeder Schnittstelle im Wertschöpfungsprozess elektronische Daten verloren und werden in nicht weiter verarbeitbaren PDFs an die nächste Wertschöpfungsstufe übergeben. Zudem werden Daten nur selektiv erhoben. Es werden nur notwendige Daten erhoben, obwohl unklar ist, welche Daten für künftige Performance- oder ESG-Reportings benötigt werden.
Ein breiter Ansatz zur Erhebung und Speicherung von Daten ist daher der richtige Ansatz. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass ein solch offener Ansatz sich auszahlt. Vor Jahren gespeicherte Massendaten können Wissenschaftler erst mit heutigen Methoden, etwa mit Quantencomputern, auswerten. Das birgt unglaubliche Potenziale für die Entwicklung von Nachhaltigkeits- und Investmentstrategien.
Allen Herausforderungen zum Trotz besteht viel Grund zu Zuversicht. Die Immobilienbranche ist auf einem guten Weg, die digitale Transformation anzugehen.
In vielen Köpfen wird Energieeffizienz aber weiterhin mit Neubau verknüpft. Mit Blick auf die Verbräuche und betriebsbedingten Emissionen ist das per se nicht falsch. Bezieht man jedoch die verbauten CO2-Emissionen mit ein, wird klar, dass der wesentlich größere Hebel für die CO2-Bilanz im Bestand liegt. Energetische oder gar taxonomiekonforme Sanierungen – Stichwort „Manage to green“ – sind das nachhaltige Investmentprodukt der Zukunft. Es ist weder sinnvoll noch wünschenswert, den kompletten Gebäudebestand durch Neubau zu ersetzen. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die Baustoffindustrie – Zement, Stahl und Glas – zu den emissionsintensivsten Industrien überhaupt gehört.
Sowohl im Neubau als auch in Sanierungen stecken ebenfalls große Hebel für den Kampf gegen den Klimawandel. Gerade im Umbau werden die „grauen Emissionen“ noch viel zu häufig übersehen oder unterschätzt. Jedes Bauteil, das nicht neu hergestellt werden muss, ist ein Gewinn für das Klima. Bestandsimmobilien sind keine Wegwerfprodukte. Das erfordert manchmal etwas Kreativität und Flexibilität, aber kann sich lohnen. Auch die Mieter sind zum Umdenken aufgefordert: Muss bei jedem Mieterwechsel wirklich zwingend immer die ganze Ausstattung entfernt und die Fläche neu ausgebaut werden?
Vielversprechende Konzepte
Die „Circular Economy“ ist ein gutes Beispiel dafür, dass es an vielversprechenden und erfolgreichen Konzepten eigentlich nicht mangelt. Beispielsweise bietet das Unternehmen Madaster ein digitales Kataster für verbaute Komponenten und Materialien an. Die Anwendung hat sich aber noch nicht als Standard etabliert. Erschwerend kommt hinzu, dass jeder Akteur im Zweifel über eigene Lösungen verfügt und Mieter- oder Gebäudedaten bei einem Eigentümerwechsel in den seltensten Fällen „vererbt“. Dabei sind diese Daten und eine konsequente Digitalisierung Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Transformation zu einer klimaneutralen (lmmobilien-)Wirtschaft.
Doch es fehlt oftmals noch an dem erforderlichen ganzheitlichen Mindset. Eingescannte Mietverträge und die Nutzung von Microsoft Teams sind eben noch keine Digitalisierung. Sie sind lediglich die Digitalisierung von analogen Prozessen.
Vom Silodenken verabschieden
Der Grund für die Beibehaltung von analogen Prozessen bei gleichzeitiger Nutzung digitaler Technologie ist der verbreitete Ansatz der Problemperspektive. Die Akteure identifizieren ein Problem und lösen es mit einer digitalen Herangehensweise. So entstehen Insellösungen ohne Schnittstellen zu anderen Lösungen – oder gar zu anderen Akteuren – und ohne Optimierung des Prozesses. Die volle Entfaltung ihres Potenzials verspricht die Digitalisierung aber vor allem dann, wenn möglichst viele Daten, Prozesse und Akteure verzahnt werden und parallel agieren können.
Digitalisierung bedeutet auch nicht nur die Sammlung von Daten, sondern deren intelligente Verarbeitung. Ohne das Überdenken der vorherrschenden Arbeitsprozesse entfaltet Digitalisierung nicht die gewünschte Wirkung. Sie klingt zwar fortschrittlich, kommt in der Praxis aber kaum auf Touren. Das alles kann und wird aber nur funktionieren, wenn wir uns von dem in unserer Branche noch immer verbreiteten Silodenken verabschieden.
Zum einen ist und bleibt die Immobilienbranche sehr fragmentiert. Eine Vielzahl von Geschäftsmodellen und Unternehmen trifft aufeinander. Das führt zu einer Vielzahl an Schnittstellen, die es erschweren, branchenweite Applikationslösungen zu finden oder zu entwickeln. Die Ausrichtung der Digitalisierung muss daher viel mehr auf der Integration zwischen den bestehenden guten Applikationen statt in der Suche nach der „eierlegenden Wollmilchsau“ liegen. Gerade im Umbau werden die „grauen Emissionen“ noch viel zu häufig übersehen oder unterschätzt.
Unternehmen als auch die Politik sind jetzt in der Verantwortung. Teile der Immobilienbranche und ihre Verbände wie der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA) leisten bereits in zahlreichen Initiativen lobenswerte Arbeit. Was jedoch fehlt, ist der zur breiten Durchsetzung erforderliche Nutzenvorteil. Wir müssen endlich begreifen, dass Investitionen in die Zukunft am Anfang kosten- und zeitintensiv sind, bevor sie sich auszahlen, und den Arbeitsalltag erheblich vereinfachen. So lange es aber Führungskräfte gibt, die diesen Mehrwert hinter den Anstrengungen nicht erkennen, wird sich die Branche nicht bewegen.
Klarheit schaffen
Wir sind in der Pflicht, über diese Zukunftsvorteile aufzuklären und durch eindeutige Zielvorgaben Klarheit zu schaffen, nicht nur über den nötigen Aufwand, sondern auch über den Mehrwert der Transformation. Einer der wichtigsten Bausteine dabei ist der einzelne Mitarbeiter. Er muss für die Transformation geschult und enabelt werden. Das Bewusstsein für Transformation muss im gesamten Unternehmen gelebt werden.
Allen Herausforderungen zum Trotz besteht viel Grund zur Zuversicht. Die Immobilienbranche ist auf einem guten Weg, die digitale Transformation anzugehen, auch wenn mancher noch nach dem Wegweiser sucht. Umdenken ist gefragt, und das wird langsam immer stärker verinnerlicht. Nur muss jeder seinen Teil dazu beitragen und bereit sein, gemeinsame Branchenstandards dann auch zu akzeptieren und aktiv zu nutzen. Auch das ist eine Frage des Mindsets.
Dieser Artikel erschien am 29.11.2023 in der Sonderbeilage der Börsen-Zeitung.
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