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Sanieren ist zu teuer und zu komplex

9. Jan 2022

Frank Wojtalewicz  |  d.i.i.

Wir erleben derzeit einen spektakulären Widerspruch in der deutschen Wohnungspolitik. Aber es geht nicht um den verpatzten Wohnungsneubau der vergangenen Jahre, sondern ums Klima. Obwohl über ein Drittel der CO2-Emissionen in Deutschland unmittelbar gebäudebezogen ist, obwohl mehr als zwei Drittel des deutschen Gebäudebestandes über keinerlei Energieeffizienzmaßnahmen verfügen und obwohl zugleich der gesamte Gebäudebestand spätestens bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden soll, ziehen sich immer mehr Unternehmen aus der umfassenden energetischen Sanierung zurück. Zu komplex, zu kostspielig und nicht rentabel ist dieses Feld – vom Mangel an gesellschaftlicher Akzeptanz ganz abgesehen: Wer anständig saniert, gilt vielen gleichsam als Gentrifizierer und Mieterschreck.

Das wirft Fragen auf. Wenn in der Klimapolitik, wie es häufig heißt, ein Scheitern ausgeschlossen ist, dann müssen jetzt die Gründe für den Rückzug von immer mehr Unternehmen aus der Sanierung des deutschen Wohnungsbestandes identifiziert und geeignete Maßnahmen gefunden werden, um rechtzeitig gegenzusteuern.

Worüber Schweigen herrscht
Sonst laufen wir Gefahr, immer mehr „gestrandete“, also wertlose, Güter zu verzeichnen. In Frankreich und den Niederlanden dürfen in den kommenden Jahren Gebäude mit schlechten Energieeffizienzen – entsprechend den deutschen Energieeffizienzklassen F und G – nicht mehr vermietet werden. Ein ähnliches Szenario droht infolge rigoroser EU-Regulierungen auch in Deutschland, doch aufgrund der allgemeinen Bauqualität nicht so schnell wie bei unseren Nachbarn. Was aber soll mit den vielen Bestandsbauten der Zeit zwischen dem Zweiten Weltkrieg und der ersten Wärmeschutzverordnung aus dem Jahr 1979 tatsächlich geschehen, wenn diese nicht rechtzeitig energetisch ertüchtigt werden? Darüber herrscht Schweigen.

Die Immobilienwirtschaft steht in der Verantwortung. Wir müssen sanieren, ertüchtigen, Wissen akkumulieren und für Wissenstransfer innerhalb der Branche und von der Branche in Richtung Verbraucher sorgen. Dazu gehören besonders zwei Themen: die Energiebildung und die Frage, wie der einzelne Mensch in Zukunft leben kann. Die beste Außenverkleidung und die nachhaltigste Energieversorgung taugen wenig, wenn Mieter im Winter (und im Hochsommer) die Fenster gekippt lassen, heiße Badewannen einlassen und sie anschließend vergessen oder heizen, obwohl sie sich gar nicht in der Wohnung aufhalten.

Die Verteilung muss sich deutlich näher am Verursacherprinzip orientieren
Das Problem dabei ist: Wenn dieselben Mieter mangels Beteiligung an den Energiekosten für ihr klimatisches Fehlverhalten nicht zur Verantwortung gezogen werden, wird sich daran auch in Zukunft nichts ändern. Die Verteilung der CO2-Bepreisung im Immobiliensektor muss sich daher deutlich näher am Verursacherprinzip orientieren.

Bekanntlich setzt der Staat auf der anderen Seite mit allen Mitteln auf die Unterstützung der Privatwirtschaft, wenn es um die Schaffung, Instandhaltung und Ertüchtigung der deutschen Wohnbestände geht. Abgesehen von lokalen politischen Paradiesvögeln wie in Berlin sind sich die Beteiligten auf beiden Seiten durchaus dessen bewusst, dass die öffentliche Hand lediglich die Rahmenbedingungen schaffen kann, in der Praxis aber die Expertise und das unternehmerische Wissen der Immobilienwirtschaft weiterhin unabdingbar bleiben.

Es braucht klare Konzepte
Nicht ohne Grund ist die Privatwirtschaft ein gefragter und verlässlicher Partner der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften. Die Frage ist nur, wie lange die Wirtschaft diese Partnerschaft noch eingehen wird. Denn immer häufiger lohnt sich eine Beteiligung an öffentlichen Ausschreibungen im Immobiliensektor nicht. Von der Regulatorik abgesehen, sind auch die Preisvorstellungen der öffentlichen Hand nicht mehr marktkompatibel, da sie die gestiegenen und weiter steigenden Material- und Baukosten nicht berücksichtigen. Auch hier braucht es also klare Konzepte, um die enormen Kosten von 500 Mrd. Euro bis 1.000 Mrd. Euro zu stemmen: Wir brauchen einen Staatsfonds, der Mieter entlastet und Vermieter zur Sanierung ermuntert.

Das Szenario, das andernfalls droht, liegt auf der Hand. Wenn nicht bald gegengesteuert und die Bestandssanierung zu einem wohnungspolitischen Ziel erklärt wird, wird sich die Immobilienwirtschaft immer weiter aus diesem komplexen Segment zurückziehen. Immer offensichtlicher wird mittlerweile, dass der Mangel an Zuverlässigkeit und Planungssicherheit, den die Politik vorgibt, im Kern selbst Teil der politischen Programmatik ist, die Wirtschaft aus dem Wohnungssegment zu drängen. Es ist nachvollziehbar, dass immer mehr Akteure da nicht mitspielen wollen: Vorhandenes Kapital wird in andere Anlageklassen fließen, die Bestände werden sich selbst überlassen.

Das Nachsehen werden die Mieter haben, deren Behausungen so lange unsaniert bleiben, bis der Umkipppunkt zwischen den gestiegenen Energiekosten und der Energiekostenübernahme endgültig überschritten ist und sich eine Sanierung schlicht nicht mehr lohnt. Dass dies letztlich auch zur Folge haben wird, dass sich die sozialen Brennpunkte in unseren Städten verschieben, wäre eine weitere negative Folge dieser fehlgeleiteten Wohnungspolitik. Weder dem Klima noch den Menschen noch unseren Städten wäre jedenfalls mit einer solchen Entwicklung geholfen.

Dieser Artikel erschien am 31.12. in der FAZ.

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