Deutschland lebt auf großem Fuß – oder zumindest in großen Wohnungen. Wobei sich beides kaum voneinander trennen lässt: Einerseits verfügt der durchschnittliche Deutsche mit rund 50 Quadratmetern pro Kopf im Vergleich zu den europäischen Nachbarn in Polen, Frankreich oder Österreich über mehr Wohnfläche. Andererseits schrumpft dieser Abstand vor allem in den sieben größten deutschen Städten: Von 40,9 Quadratmetern sank der Wert zwischen 2010 und 2018 auf 39,2, vermeldete Ende 2019 das Statistische Bundesamt. Angesichts steigender Wohnkosten und einer höheren Zahl an Singlehaushalten ist es nicht überraschend, dass sich offenbar immer mehr Menschen entscheiden, doch lieber auf kleinerem Fuß zu leben. Vorbei die Zeiten, in denen die Pro-Kopf-Wohnfläche auch in Städten scheinbar unweigerlich stieg.
Das muss sie aber auch gar nicht mehr: Anders als häufig behauptet, kann man mit klugen Grundrissen und kreativen Einrichtungslösungen auf kleiner Fläche eine hohe Wohnqualität erzielen. Dennoch verstummt die Kritik an Ein-Zimmer-Wohnungen nicht. Zu klein, zu teuer und zu elitär – sie zerstörten die soziale Struktur der Städte, indem sie die angestammte Bevölkerung verdrängten. Aus meiner Sicht ist diese Argumentation nicht nur falsch, sondern auch kontraproduktiv. Denn an der Tatsache, dass immer mehr Menschen in die Metropolen ziehen, wird sich so schnell nichts ändern. Seriöse Bevölkerungsprognosen sind zwar nur für überschaubare Zeiträume möglich, doch die allermeisten Szenarien sagen ein deutliches Wachstum der deutschen Metropolen in den kommenden Jahrzehnten voraus.
Dabei treten sich schon heutzutage die verschiedensten Akteure in Städten wie München, Hamburg und Köln im wahrsten Sinne gegenseitig auf die Füße. Es fehlt schlicht der Platz, um den Bevölkerungszuwachs mit konventionellem Wohnungsneubau auffangen zu können – zumal auch für Gewerbe und Freiflächen neuer Raum benötigt wird. Ich bin mir sicher: Bleibt die Drei-Zimmer-Wohnung mit knapp 80 Quadratmetern und zwei Bewohnern aus Sicht von Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit der Maßstab, werden sich die drängendsten sozialen und ökologischen Probleme beim Wohnen nicht lösen. Stattdessen würde ein „Weiter so!“ vor allem den Baulandmangel verschärfen. Und damit die Wohnkosten weiter in die Höhe schrauben.
Eine aktuelle Erhebung besagt: In vielen kleineren bis mittelgroßen Städten und Landkreisen in Deutschland wird erstaunlich rege Wohnraum geschaffen. Mehr als nötig, sagt das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) – auf 50 Prozent über dem Bedarf wird die Bautätigkeit in 69 ländlichen Untersuchungsräumen beziffert. In den großen Städten dagegen wird weiterhin zu wenig gebaut. Die Spitzenreiter Düsseldorf und Hamburg decken zumindest 86 Prozent des Bedarfs durch Neubau ab. Wenn man das Niveau der vergangenen drei Jahre für weitere drei Jahre halten könne, werde es hier bald wieder Entspannung geben. Auch Frankfurt am Main steht einigermaßen gut da. In Berlin, München, Stuttgart und Köln sei man aber von einer Entwarnung weit entfernt. Warum ist das so?
Nicht genug Vertrauen
Ich denke: Viele private Entwickler haben zu lange das Risiko gescheut, auch vermeintlich unbequeme Lagen anzugehen. Standorte etwas abseits der Zentren, sozial angespannte Kieze oder Quartiere mit Leerstand, aber eben innerhalb der Stadt, nicht um Umland oder in B-Städten noch weiter weg. Dabei war es doch abzusehen, dass sich diese Risiken lohnen würden – für den Entwickler und die Stadtgesellschaft. Denn dass zu wenige neue Wohnungen in den Großstädten entstehen, ist kein junges Phänomen. Seit geschätzten zehn Jahren und länger kennt man die Gefahr, in eine Wohnungsknappheit zu steuern. Medien und Fachöffentlichkeit haben vor einer Dekade schon darüber diskutiert. Und mit jedem Monat, in dem nicht oder zu wenig gebaut wurde, vergrößerte sich die Gefahr immer mehr, bis sie äußerst real wurde.
Die üblichen Gründe
Unbequeme Lagen – man könnte auch sagen: Es fehlte zu oft an Visionen, an Weitblick, an Glauben an die Dynamik und Entwicklung in den großen Städten wie Berlin oder Köln. In München und Stuttgart spielten sicherlich die hohen Bodenpreise eine größere Rolle, aber es gab auch dort mitunter zu wenig Mut. Betrachten wir die teilweise langen Planungs- und Realisierungsphasen bei komplexen Wohnprojekten, die viele Marktteilnehmer zu Recht bemängeln, vor diesem Hintergrund doch vielleicht als Plus. So gibt man seinem Projektumfeld die Zeit, sich zu wandeln, noch ehe das eigene Projekt als weiterer Baustein und Impuls dazukommt. Im Übrigen sollten die langen Zeiträume auch einmal weniger emotional diskutiert werden. Es ist doch gerade bei komplexen Projekten der intensive Dialog von öffentlicher Hand und privatem Partner unumgänglich, auch die Abstimmung mit der Stadtgesellschaft. Außerdem ist in nahezu allen größeren Genehmigungsbehörden ein zunehmendes Engagement und ein klarer Beschleunigungswille zu verzeichnen, sei es über zusätzliches Personal oder das Erkennen der Dringlichkeit.
Ausweichbewegung zu groß
Fakt ist: Die Ausweichbewegung, die viele Bauherren heutzutage machen, und im ländlichen Raum oder nicht mehr ganz nahe liegenden Umlandgemeinden der attraktiven Metropolen tätig werden, wird uns langfristig Leerstände bereiten. Im nordbayrischen Landkreis Rhön-Grabfeld etwa sind laut IW zuletzt viermal so viele Wohnungen gebaut worden, wie eigentlich nötig gewesen wären. Jeder Ort ist individuell, und die Chancen jedes Ortes sind es ebenfalls. Aber die grundsätzliche demografische Entwicklung liegt weiterhin auf der Hand, die Urbanisierung schreitet voran. Das Problem einer insgesamt sinkenden Bevölkerungszahl ist zwar zwischenzeitlich durch die Zuwanderung etwas abgepuffert worden, aber im Grundsatz immer noch vorhanden. Es wird weiterhin kleine Gemeinden im strukturschwachen Raum geben, die der sogenannten Wüstung anheimfallen. Orte, in denen die Infrastruktur und auch die derzeit noch vorhandenen Immobilienwerte nicht aufrechterhalten werden können. Orte, die man komplett aufgeben wird.
Fazit
Daher: Lassen wir die Ausweichbewegung wieder kleiner werden. Niemand kann aktuell erwarten, dass überteuerte Grundstücke in den Top-Lagen der großen Metropolen gekauft und dort bezahlbarer Wohnraum geschaffen wird. Aber die Städte bieten doch auch im weiteren Stadtgebiet Potenzial – sei es durch Umnutzung, vielleicht auch die Bereinigung von kontaminierten Grundstücken oder bestehender Bausubstanz. Sicherlich gibt es auch Entwickler, die ihre Pläne doch nicht heben können und ihre Areale kommen zurück auf den Markt. Der alte Grundsatz Lage, Lage, Lage hat seine Gültigkeit nicht verloren. Denken wir langfristiger. Immobilien sind langfristig. Bauen wir sie dort, wo sie auch langfristig benötigt werden.