„Ich erwarte längerfristig deutlich höhere Inflationsraten“
28. Feb 2021
28. Feb 2021
PB3C: Lieber Herr Professor Heinemann, die pandemiebedingte globale Ausnahmesituation hält an. Ein Weg aus der Krise ist mit den Impfungen zwar erkennbar, aber selbst Optimisten müssen sich eingestehen: Der Weg wird steinig und lang, Virus-Mutationen sorgen für zusätzliche Unsicherheit. Und Unsicherheit gilt als Gift für die Kapitalmärkte. Doch an denen scheint all dies folgenlos abzuprallen: Aktien, Anleihen, Immobilien – wohin man blickt, man sieht hohe Preise und niedrige Renditen. Wie passt das zusammen?
Prof. Dr. Heinemann: Für diesen scheinbaren Widerspruch gibt es zwei grundverschiedene Antworten, eine erfreuliche und eine sorgenvolle. Erfreulich ist, wie schnell insbesondere die globale Industrie gelernt hat, mit dem Virus zu leben und zu produzieren. Wurden in der ersten Welle in vielen Ländern die Fabriken zugemacht, so hat die zweite Welle viel weniger Schaden bei der industriellen Wertschöpfung angerichtet. Die Innenstädte sind zwar ausgestorben, in den Fabrikhallen herrscht aber fast schon normale Geschäftigkeit, auch weil sich der globale Güterhandel erstaunlich schnell und anhaltend erholt hat. Die sorgenvolle Antwort auf Ihre Frage ist aber, dass der Höhenflug der Asset-Preise eben nicht nur die fundamentale Erholung der globalen Industrie widerspiegelt, sondern auch die enorme Liquiditätsflut. Die Wertpapierkäufe der Zentralbanken und die für Friedenszeiten historisch hohen Staatsdefizite haben den Vermögenspreisen einen weiteren Schub verliehen. Ich denke, dass beide Antworten zusammen das Paradox von Börsenrekorden trotz zermürbend langem Pandemieverlauf und Lockdown gut erklären.
PB3C: Gibt es denn auch Ausnahmen von diesem Gesamtbild aus hohen Preisen und niedrigen Renditen? Anders gefragt: Gibt es Segmente, die womöglich hinterherhinken? Und können darin Chancen für Kapitalanleger schlummern? Oder haben Sie gar keine guten Nachrichten für institutionelle oder private Investoren?
Prof. Dr. Heinemann: Ich glaube eigentlich an effiziente Märkte und eine sehr rasche Vorwegnahme unterschiedlicher sektoraler Perspektiven in den Kursen. Dennoch ist mein Eindruck, dass die Bepreisung verschiedener Aktiensegmente in der Pandemie manchmal zu wenig zwischen temporären und dauerhaften Folgen von Covid-19 unterscheidet. Ein Beispiel: Der Werteverfall von Aktien des stationären Einzelhandels ist durch den auf Dauer beschleunigten Strukturwandel gut nachvollziehbar. Das gilt aber so nicht für Tourismus-Titel. Es besteht kein Zweifel daran, dass Menschen nach der Pandemie wieder mit Begeisterung verreisen werden, vielleicht sogar mehr als vorher. Die Geschäftsmodelle dieser Branche sind weiterhin hochgradig aussichtsreich, hier besteht somit großes Erholungspotenzial.
PB3C: Geben Sie uns doch bitte einen kleinen Überblick über den Status quo auf der Welt. Wo läuft die Wirtschaft wieder? Wo sehen Sie Wachstumschancen? Und wo sehen Sie noch weiterhin große Probleme?
Prof. Dr. Heinemann: Die erfreulich rasche Erholung des Welthandels ist eindeutig von China und Asien ausgegangen. Damit ist ausgerechnet das Land, in dem Sars-CoV-2 erstmalig nachgewiesen wurde, ökonomisch am besten damit fertig geworden und zum globalen Konjunkturmotor geworden. China konnte sogar 2020 als einzige wichtige Volkswirtschaft der Erde eine Rezession ganz vermeiden. In den nächsten Monaten wird die Weltkonjunktur durch eine starke Erholung in den USA weiter in Richtung Normalisierung drehen. In Europa verzögert sich die Erholung durch die zweite Welle, aber der Aufschwung wird kommen, nicht zuletzt aufgrund der massiven Stützung durch EZB und EU. Wirklich Besorgnis erregend ist die ökonomische Lage in Italien. Normalerweise sollte einem tiefen Absturz eine sehr kräftige Erholung folgen – zumal, wenn die europäischen Hilfen derart großzügig fließen wie jetzt. Der IWF prognostiziert aber, dass das Land sich 2021 mit 3 % Wachstum nur ein Drittel seines Wachstumseinbruchs von 2020 (- 9,2 %) zurückholen wird. Das ist eine verheerende Perspektive. Man kann dem neuen Ministerpräsidenten Mario Draghi im europäischen Interesse nichts anderes als Erfolg wünschen. Wenn er scheitert, stehen wir in Europa vor der nächsten Schuldenkrise.
PB3C: Ein Hoffnungsschimmer scheint gerade in den Vereinigten Staaten zu leuchten, unter der neuen Administration von Joe Biden. Teilen Sie den Optimismus?
Prof. Dr. Heinemann: Ich teile diesen Optimismus im Hinblick auf den kurzfristigen Konjunkturausblick. Das Biden-Corona-Paket mit seinen 1,9 Bio. USD wird in Kombination mit dem beneidenswert ehrgeizigen US-Impfprogramm ohne Zweifel wirken und der US-Wirtschaft einen Schub verleihen. Dennoch stimme ich Kritikern wie dem Harvard-Ökonomen Larry Summers zu, der das Programm als völlig überdimensioniert bezeichnet. Die Größe des schuldenfinanzierten Pakets geht weit über den Wachstumsverlust der USA in der Pandemie hinaus. Damit werden Schulden in einer Größenordnung gemacht, die man selbst dann nicht gutheißen kann, wenn man an Nachfragesteuerung im Geist von Keynes glaubt. Damit wird nicht nur Geld vergeudet, die US-Ökonomie könnte sogar überhitzen mit einem sehr deutlichen Inflationsschub. Dann bekäme die Fed ein echtes Problem.
PB3C: Regierungen rund um den Globus, einschließlich der EU, kämpfen mit gigantischen Hilfs- und Konjunkturprogrammen gegen die Corona-Krise an, überwiegend schuldenfinanziert. Wie lange können sie das noch durchhalten? Und droht der sich auftürmende Schuldenberg die dringend benötigte Konjunkturerholung nach der Pandemie zu ersticken?
Prof. Dr. Heinemann: Das ist für mich eine der großen Fragen im Hinblick auf die Finanzpolitik nach Corona. Ehrlich gesagt finde ich es ein Stück weit unverantwortlich, dass die Politik diese Frage derzeit nicht einmal reflektieren will. Natürlich ist es richtig, in der akuten Krise viel Geld in die Hand zu nehmen. Aber trotzdem muss man jedes Krisenprogramm auf seine Zielgenauigkeit und Effizienz prüfen. Nicht nur in den USA schießt die Rettungspolitik derzeit über das Ziel hinaus. Ähnliche Gefahren lassen sich auch in Deutschland ausmachen. Beispiel Kurzarbeit: Das ist zweifellos ein bewährtes Instrument, das vor Entlassungen bei einem vorübergehenden Konjunktureinbruch schützen kann und sich 2020 wieder sehr bewährt hat. Die Politik hat aber die Laufzeit viel zu früh bis Ende 2021 verlängert und die Lohnersatzrate steigt sogar mit der Inanspruchnahme. Arbeitnehmer können inzwischen fast zwei Jahre in Kurzarbeit sein und je nach Familiensituation bis zu 87 % des Gehalts bekommen. Hier wächst die Gefahr massiv, dass das Instrument Jobs auf dem Papier rettet, für die es nach Corona keine Zukunft geben wird. Das hemmt am Ende den Strukturwandel und die Anpassung des Arbeitsmarkts an die neuen Bedingungen nach der Pandemie. Schulden, die Deutschland für so etwas macht, belasten am Ende doppelt – durch den eigeengten Finanzierungsspielraum in der Zukunft und durch die Fehlanreize überzogener staatlicher Leistungen.
PB3C: Notenbanken stehen mit ihren Anleihekaufprogrammen der Fiskalpolitik der Regierungen mit ihrer Geldpolitik in nichts nach. Über Spätfolgen wird zu diskutieren sein. Nach Lehrbuchmeinung sollte bald eine Inflation zu erwarten sein. Teilen Sie diese Befürchtung?
Prof. Dr. Heinemann: Es wird ganz sicher zumindest einen kurzzeitigen Inflationsschub geben, wenn sich das soziale Leben wieder normalisiert. Das Zwangssparen der Konsumenten in den Lockdowns hat zu einer erheblichen Liquidität auf den Girokonten geführt. Das wird dem Nachholeffekt Schub verleihen, wenn die Läden, Restaurants und Reisbüros wieder öffnen. Die Anbieter werden versuchen, sich einen Teil der Lockdown-Verluste durch höhere Preise zurück zu holen. Die Bundesbank rechnet schon in diesem Jahr in Deutschland mit Inflationsraten, die zeitweise die Drei-Prozent-Marke knacken. Ich erwarte auch darüber hinaus längerfristig deutlich höhere Inflationsraten als wir sie in den vergangenen zehn Jahren erlebt haben. In Europa ist die EZB in eine Zwangslage geraten und kann den hoch verschuldeten Ländern in Südeuropa den Geldhahn nicht abdrehen, ohne eine neue Krise auszulösen. Faktoren wie niedrige chinesische Löhne, die lange die Inflation gedrückt haben, gehören immer mehr der Vergangenheit an. Insofern wird eine höhere Inflation kommen und auch nötig sein, um das Problem gefährlich hoher Staatsverschuldung zu bewältigen. Die Schulden werden dann wie oft in der Geschichte ein Stück weit weginflationiert.
PB3C: Können Sie uns denn auch ein bisschen Hoffnung machen? Gibt es positive Anzeichen oder Indikatoren, die Sie zuversichtlich stimmen, dass wir nach dem Ende der Pandemie gute Aussichten auf eine Rückkehr zu Wachstum und Wohlstand haben?
Prof. Dr. Heinemann: Ich bin bei dieser Analyse eigentlich überhaupt nicht pessimistisch. Menschen mit Finanzkompetenz können mit Inflation umgehen und auch eine Geldentwertung von 3 % oder 4 % lässt uns nicht verarmen. Zudem spricht vieles dafür, dass die Pandemie mit ihrem Schub für digitale Prozesse unsere Produktivität voranbringen wird. Wir merken es selbst in der Wissenschaft und Politikberatung: Weil ich nicht mehr die halbe Woche in Zügen oder Flugzeugen verplempern muss, finde ich viel mehr Zeit, an meinen Analysen zu arbeiten. Der Output meines Forscherteams am ZEW ist in der Pandemie erkennbar angestiegen, auch wenn die jungen Eltern im Team mit den Schließungen von Kitas und Schulen konfrontiert waren. Ich denke, dass viele Menschen in den letzten Monaten gelernt haben, ihre Zeit effizienter zu nutzen. Wenn diese Lerneffekte nachhaltig sind, ist das ein Turbo für unsere Produktivität, aber auch unser nicht-materielles Wohlergehen.
Haben Sie Anmerkungen oder Fragen? Dann schreiben Sie an den Leiter unserer Redaktion Dr. Josef Girshovich.