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Zauberformel für mehr Wohnungen

6. Mrz 2024

Thomas Meyer  |  Wertgrund

Seit wir wissen, dass der von der Bundesregierung proklamierte Bau von jährlich 400.000 neuen Wohnungen weder gelungen ist noch gelingen wird, sitzen wir entzaubert da und beobachten wie bei einem Abreißkalender die Zahl der schwindenden Baugenehmigungen. Dabei liefern uns solide Zahlen und Fakten allen Anlass, die Schaffung von nachhaltigem, erschwinglichem und lebenswertem Wohnraum in Angriff zu nehmen. Zum Beispiel mittels Nachverdichtung.

Gemäß einer Studie der TU Darmstadt und des Pestel-Instituts schlummert ein Potenzial von 2,3 bis 2,7 Millionen Wohnungen auf Wohngebäuden der Fünfziger- bis Neunzigerjahre, auf und in leer stehenden Büro- und Verwaltungsgebäuden sowie auf Parkhäusern, Discountern und Märkten. Noch dazu jene der bezahlbaren Art. Und das, obwohl die Studienautoren konservative Annahmen zu Mengen, Flächen und Verdichtungsschlüsseln getroffen haben. Wie also lässt sich daraus Wohnraum zaubern? Was gilt es zu beachten, wo lauern Fallstricke, und was lässt sich schnell in Angriff nehmen?

Viele Vorteile der Nachverdichtung sind offensichtlich: Ein vorhandenes Grundstück muss nicht mehr erschlossen werden, seine verdichtete Nutzung steigert den Grundstückswert, und die bereits vorhandene Infrastruktur kann den neuen Bedürfnissen angepasst werden. Für unkonventionelle Grundstücke gibt es längst bauliche Lösungen. Auch für die Senkung der Energiekosten besteht Potenzial – insbesondere bei der Überbauung unsanierter Gebäude mit hoher Wärmeabstrahlung wie Supermärkten. Während die Wohnungen bis zu 50 Prozent weniger Heizenergie benötigen, reduzieren sie im Sommer die Kühllast des Markts.

Nachverdichtungsprojekte müssen sich an den Maßstäben einer zukunftsfähigen Stadtentwicklung messen lassen. Nachhaltig zu bauen bedeutet, für höhere Temperaturen und Extremwetter gerüstet zu sein, Flächen, Gebäude und Baustoffe standortgerecht zu nutzen. Im Prinzip liegt das in der Natur der Nachverdichtung. Die Infrastruktur wird effizienter genutzt, und im Idealfall entfällt die Notwendigkeit, neue Verkehrswege zu bauen. Aber mit dem Idealfall ist es so eine Sache, besonders wenn Nachverdichtung mit zubetonierten Grünflächen und wegrationalisierten Spielplätzen einhergeht. Nachverdichtung verlangt Sensibilität – in der Umsetzung wie in der Kommunikation.

Geht eine Nachverdichtung mit der Errichtung von Hochbauten, Tiefgaragen und undurchlässigen Bodenbelägen einher, können die lokale Höchsttemperatur sowie die Hochwassergefahr steigen, da Wasser nicht mehr versickern kann. Die Alternative ist, Flächen zu schaffen, die große Wassermengen aufnehmen und zeitverzögert wieder abgeben. Dies ist bekannt und sowohl für die Klimaresilienz als auch für die Biodiversität besser. Nicht von ungefähr fordert das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, klimaangepasstes Bauen als ganzheitliches System zu entwickeln, um Gebäude und Liegenschaften flächendeckend resilient zu gestalten.

Eine rücksichtslose Nachverdichtung ist nicht nur klimaschädlich, sondern auch sozial schädlich. Der Wegfall von Grünflächen mindert den Freizeit- und Erholungswert. Ein zu dicht bebautes Umfeld erhöht die Stressfaktoren für den Körper. Der sich dadurch aufstauende Unmut ist programmiert – lässt sich unter Einbeziehung der Anwohner aber oft in ein konstruktives Miteinander umwandeln. Die Herausforderung besteht also auch darin, parallel zur ökologisch nachhaltigen, bestenfalls städtebaulich attraktiven Verdichtung ein emotionales Wohlfühlklima zu schaffen.

Auch auf die Frage, was sich schnell in Angriff nehmen lässt, gibt es Antworten. Eine effiziente Überzeugungsarbeit lässt sich durch das Erstellen städtebaulicher Rahmen- und Potenzialpläne oder integrierte Stadtentwicklungskonzepte leisten. Darin müsste mitgedacht werden, wie sowohl die Infrastruktur als auch das Wohlwollen der Anwohner mitwachsen können. Um Verdichtungen ohne größere zusätzliche Flächenversiegelung zeitnah den Weg zu ebnen, wäre die Anpassung der veralteten Stellplatzanforderungen wünschenswert. Hier ließe sich durch kommunale Mobilitätskonzepte einiges zaubern.

Oder brauchen wir am Ende sogar einen mutigeren Schritt – einen Zauber, der alte Zöpfe abschneidet? Die Frage muss zumindest erlaubt sein und wird von dem Verein „Architects 4 Future“ mit einer neuen „Muster(um)bauordnung“ beantwortet – einer Bauordnung, die maßgeblich zur Minimierung der ökologischen Folgekosten und zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze beiträgt. Doch am Ende besteht die Kunst darin, die Interessen aller Beteiligten unter einen Hut zu bringen – und ein solcher Konsens ist eher Verhandlungs- und Willenssache denn Zauberei.

Dieser Artikel erschien am 01.03.2024 in der FAZ.

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