Taxonomie scharf gestellt: Jetzt braucht‘s Rechtssicherheit!
12. Mrz 2023
12. Mrz 2023
Nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasserressourcen, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung sowie Schutz von Ökosystemen und Biodiversität – das sind die vier neuen Ziele der EU-Taxonomie, die Anfang Januar 2023 in Kraft getreten sind. Sie bieten Ansatzpunkte für nachhaltigeres Wirtschaften, doch verbindliche Vorgaben existieren noch nicht, welche Anforderungen die Immobilienwirtschaft erfüllen muss, um wesentliche Beiträge zu leisten. Ohne Rechtssicherheit werden einige Unternehmen bis auf Weiteres davon absehen, sich in ihrem Reporting auf die Taxonomie-Ziele zu beziehen. Doch die Branche hat längst damit begonnen, mögliche Chancen und Risiken zu antizipieren. Und etwa beim Thema Kreislaufwirtschaft und Biodiversität existieren immerhin bereits Kriterienentwürfe – es sind auch diese Ziele, bei denen Insider die meisten Ansatzpunkte sehen.
Recycling: Starker Hebel für Nachhaltigkeit
Die Immobilienwirtschaft weist enorme Potenziale auf, den Ressourcenverbrauch zu verringern, und bietet damit einen starken Hebel für mehr Nachhaltigkeit. Es deutet sich allerdings bereits an, dass die Anforderungen an die Konformität mit diesem Ziel durchaus ambitioniert sein werden. So sieht der vorliegende Kriterienentwurf vor, dass bei Neubau und Sanierung 90 % der anfallenden Abfälle recycelt werden müssen.
Zudem soll das Gebäude zu 50 % aus wiederverwendeten oder recycelten Materialien bestehen. Das zu erreichen, dürfte vor allem in Deutschland tätigen Firmen nicht leichtfallen. Dazu tragen die hiesigen Bauvorschriften bei, die in vielen Bereichen deutlich strenger sind als in den Nachbarländern, ohne dass der Nutzen unmittelbar ersichtlich wird. Ein Beispiel sind die deutschen Regularien zur Bodenplatte, die in der Regel einen Großteil des verbauten Betons ausmacht. Bestimmte Regularien verhindern aber, dafür Beton aus Recyclingmaterialien zu verwenden.
Digitalisierung: Schneller und kostengünstiger bauen
Ein anderer Punkt ist die deutsche Eigenheit, besonders solide und damit ressourcenintensiv zu bauen. Das wirkt sich positiv auf die Energieeffizienz der Gebäude aus und dient dem Klimaschutz, macht es aber zugleich schwieriger, einen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft zu leisten. Länder mit anderer Bautradition sind erheblich weiter. An erster Stelle sind die Niederlande zu nennen. Dort wird schneller, kostengünstiger und ressourcenschonender gebaut. Die Verwendung nachhaltiger Baustoffe, vor allem Holz, ist viel verbreiteter.
Das Nachbarland ist auch führend beim modularen Bauen und Sanieren und deutlich weiter fortgeschritten bei der Digitalisierung der Bau- und Immobilienwirtschaft. Das bietet Vorteile – beim Thema Wiederverwendung und Recycling helfen „digitale Zwillinge“ von Bauwerken und elektronische Marktplätze für gebrauchte Module, die Lebensdauer einzelner Teile zu verlängern und den Ressourceneinsatz deutlich zu drücken. In Deutschland nimmt das Thema mit dem Gebäuderessourcenpass, den die Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen DGNB entwickelt hat, allmählich Fahrt auf.
Biodiversität: Potenziale auf Freiflächen und Dächern
Für das Ziel Biodiversität sieht der Kriterienentwurf vor, dass mindestens 60 % der Außenfläche Biotope sein müssen. Das geht über die bekannten Nistkästen und Insektenhotels hinaus. Bauherren, die das Kriterium erfüllen wollen, müssen Freiflächen so anlegen, dass sie Pflanzen, Insekten, Vögeln und Kleintieren einen Lebensraum bieten. Auch die Dächer bieten Potenziale für die Begrünung. Zudem sollen laut Entwurf mindestens 80 % der freiliegenden Flächen einschließlich der Dächer wasserdurchlässig sein. Möglichkeiten bieten vor allem Immobilien wie Logistikzentren oder großflächigen Fabrikanlagen. Sie verfügen eher über große Freiflächen, die entsiegelt werden könnten, oder große begrünbare Dachflächen. Im Bürosegment wiederum sind die Potenziale im Blick auf die neuen Ziele begrenzt.
Soziale Ziele in der EU-Taxonomie: Finale Definition fehlt
Mit der Vervollständigung der Umweltziele ist die EU-Taxonomie nicht komplett. Die Festlegung der sozialen Ziele steht noch aus. Der Fokus des öffentlichen Interesses auf den Klimaschutz darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass soziale Ungleichheiten und Missstände eine ebenso große globale Gefahr darstellen. Die jüngste Stellungnahme der zuständigen EU-Arbeitsgruppe benennt Arbeitsbedingungen, Wohlbefinden und nachhaltige Gemeinschaft als übergeordnete Ziele, mit Anknüpfungspunkten zur Immobilienwirtschaft. Die finale Definition der Ziele hätte bereits 2022 erfolgen sollen – nun ist es zweifelhaft, ob es überhaupt 2023 oder 2024 noch etwas wird: Dieser Punkt tangiert besonders Werteordnungen und kulturelle Identitäten. Niemand will als „unsozial“ abgestempelt werden, weil er Taxonomiekriterien nicht erfüllt. Deshalb dürfte die Einigung auf eine Sozialtaxonomie noch auf sich warten lassen.
Das bedeutet nicht, das Soziales in der Taxonomie bislang nicht vorkommt. Unabhängig von den dedizierten Zielen erfordert Taxonomiekonformität längst, dass Unternehmen bestimmte soziale Mindestanforderungen im Hinblick auf Menschenrechte und das Arbeitsrecht erfüllen müssen, die etwa von den Vereinten Nationen, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und dem Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) definiert werden.
EU-Taxonomie: Incentive für die Immobilienwirtschaft
Wegen der Übersichtlichkeit dürften Firmen sowohl bei Eigenkapitalinvestoren als auch bei Banken zunehmend Vorteile haben, wenn sie Taxonomiekonformität nachweisen können. Für die Ausweisung von „dunkelgrünen“ Fonds nach Artikel 9 der EU-Offenlegungsverordnung ist sie ein guter Orientierungsrahmen. Auch wenn die EU-Taxonomie kein Gesetz mit Verbindlichkeitscharakter ist, stellt sie doch ein wichtiges Incentive für die (Immobilien-)Wirtschaft dar, sich nachhaltiger aufzustellen.
Was nicht bedeutet, dass die EU-Taxonomie vollständig oder in idealer Weise alles abbildet, was für den Übergang in eine nachhaltige Wirtschaft notwendig ist. Die DGNB hat mehr Kriterien für ökologische Nachhaltigkeit definiert, wohingegen die sechs Taxonomie-Ziele einen erheblich gröberen Rahmen darstellen. Diese stellen jedoch einen Konsens sämtlicher EU-Länder dar, was ihnen ein hohes Maß an Relevanz und Legitimität gibt und den Unternehmen Orientierung auf dem Weg in eine nachhaltigere Zukunft.
Dieser Artikel erschien am 8.3. auf HAUFE.
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