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Immobilien in der Inflation – nicht alle Sektoren leiden

30. Okt 2022

Thomas Kotyrba  |  BNP Paribas REIM

Die höchsten Inflationsraten seit Jahrzehnten und die Reaktionen der Notenbanken darauf sorgen für spürbare Verwerfungen auf den Finanz- und Kapitalmärkten. Neben den direkten Auswirkungen, die steigende Teuerung und Zinsen auf alle Anlageklassen haben, bremsen sie auch die konjunkturelle Dynamik. Zusammen mit den weiterhin bestehenden globalen Lieferkettenproblemen, den aktuellen geopolitischen Krisen und einem möglichen verschärften Gasmangel wird damit ein Abgleiten Europas in eine Rezession zu einem realistischen Szenario.

Rückgang der Transaktionen
Die knappe Antwort auf die Frage, wie sich diese Entwicklungen auf die Immobilienmärkte auswirken, lautet: ganz unterschiedlich. Bestimmte Faktoren wirken jetzt dämpfend auf Flächennachfrage und Preisentwicklung, andere wiederum verknappen das Angebot und stützen Nachfrage und Preise. Dies trifft in unterschiedlicher Weise auf die jeweiligen Marktsegmente zu.

Immobilien gelten im Allgemeinen als Anlageklasse, die in Zeiten hoher Inflationsraten eine gute Wertstabilität zeigt. Das liegt daran, dass sie als Sachwerte ihren Nutzwert auch in Krisenzeiten behalten und nicht selten einen stabilen Cashflow generieren. Wohnimmobilien, aber auch bestimmte Segmente des gewerblichen Bereichs befriedigen essenzielle Bedürfnisse, sodass die Nachfrage nach ihnen auf konjunkturelle Schwankungen nur wenig reagiert.

Doch immun ist der Immobilienmarkt nicht. Im H1 2022 ist bereits ein Rückgang der Transaktionen zu beobachten. Die Inflation beeinflusst das Zinsumfeld, und dieses hat Auswirkungen auf die Finanzierungskonditionen, womit viele Marktteilnehmer ihre Leverage-Kalkulationen anpassen müssen und im Bieterwettbewerb passiver auftreten. Dieser Nachfragerückgang wirkt sich auch auf die Kaufpreise und Ankaufsrenditen aus, was im Q2 2022 bereits zu spüren war. Dieser Eintrübung wirken jedoch stützende Effekte entgegen. So hat sich in den letzten Jahren ein erheblicher Nachfrageüberhang aufgebaut, der weiter fortbesteht. Das zeigt sich auf dem Vermietungsmarkt, der noch immer sehr aktiv ist. Viele Unternehmen haben in den beiden Corona-Jahren Anmietungen verschoben, die nun nachgeholt werden.

Auch im Wohnsegment hat der hohe Nachfrageüberhang in den letzten Jahren Kaufpreise und Mieten stark steigen lassen. Doch der Wohnraummangel besteht fort, weshalb kein Abflauen der Mieternachfrage abzusehen ist. Ob gewerbliches oder Wohnsegment: Die Inflation bei den Baukosten aufgrund von Beschaffungsschwierigkeiten und Personalmangel lässt nur begrenzten Spielraum für niedrigere Kaufpreise und Mieten.

Nachfragestützend wirkt sich aus, dass die Europäische Zentralbank aufgrund der sehr heterogenen Konjunktur- und Verschuldungssituation ihrer Mitgliedsstaaten mit Leitzinsanhebungen zurückhaltender agiert als die US-Notenbank oder die Bank of England. Das hat in den vergangenen Monaten zu einem erheblichen Wertverfall des Euro gegenüber dem Dollar geführt. Für Dollar-Investoren werden Immobilienkäufe in Europa dadurch günstiger, weswegen mit stärkerer Aktivität von Investoren aus Übersee zu rechnen ist.

Die Schere geht weiter auf
Die beschriebenen Mechanismen wirken nicht in allen Bereichen des Immobilienmarkts in gleichem Maße. Bereits in den zurückliegenden Jahren hat sich eine Schere zwischen attraktiven und weniger attraktiven Lagen aufgetan. Einen hohen Nachfrageüberhang und entsprechende Preis- und Mietsteigerungen gab es vor allem in innerstädtischen Toplagen. Im neuen Inflations- und Zinsumfeld dürfte sich die Polarisierung zwischen guten und schlechten Lagen noch verstärken. In weniger attraktiven Lagen dagegen gibt es kaum Bereitschaft bei den Mietern, Erhöhungen mitzugehen. Das dürfte dort zu einem zunehmenden Druck auf die Mieten und zu Leerständen führen.

Stabile Sektoren
Eine stärkere Polarisierung wird es auch zwischen unterschiedlichen Nutzungsarten geben. So dürften neben dem Wohnsektor auch jene Sektoren relativ stabil sein, die von langfristigen Trends gestützt werden. Etwa der Healthcare-Sektor, den die Alterung der Bevölkerung stützt, sowie der Bereich Life-Sciences, in den seit Beginn der Covid-Pandemie gewaltige Investitionen fließen. Logistikimmobilien wiederum werden langfristig vom Digitalisierungstrend und von neuen Handelsabkommen gestützt. Hier wirken auch Restrukturierungen von Lieferketten unterstützend.

Die Differenzierung bei Einzelhandelsimmobilien, die sich während der Covid- Pandemie entwickelt hat, bleibt im inflationären Umfeld gültig. Da die Inflation die Kaufkraft der Konsumenten schwächt, konzentrieren sie ihre Einkäufe auf den notwendigen Grundbedarf und stellen andere Käufe momentan eher zurück. Davon profitieren Supermärkte, während Fachgeschäfte und Shoppingcenter es im aktuellen Umfeld noch schwerer haben werden, sich gegen den Preisdruck des Onlinehandels zu behaupten. Wir sehen allerdings erste Investoren mit Value-Add-Strategien beim Markteintritt.

Der Bürosektor erholt sich derzeit vom Corona-bedingten Nachfragerückgang, die Unternehmen mieten spürbar Flächen an. Allerdings zeigt sich die Differenzierung zwischen guten und weniger attraktiven Lagen in diesem Sektor besonders stark. Das heißt, dass Eigentümer von Büroimmobilien in schlechteren Lagen zunehmend mit Mietpreisverfall und mehr Leerständen rechnen müssen.

Ein Faktor, der über alle Nutzungsarten hinweg zunehmend die Marktgängigkeit von Immobilien bestimmt, ist die Energieeffizienz. Gebäude, die die Anforderungen an Nachhaltigkeit nicht erfüllen, werden perspektivisch Bewertungsabschläge erleiden. Insbesondere bei Objekten abseits der Innenstadtlagen bedarf es vorausschauend eines Austauschs aller Stakeholder, für welche ESG-konformen Nutzungen weiterhin Nachfrage besteht. Die Baukosteninflation verteuert allerdings auch Maßnahmen zur energetischen Sanierung, sodass diese teils verschoben werden müssen. Damit wird das Angebot an Objekten mit gutem Nachhaltigkeitsstandard langsamer anwachsen als seitens der Mieter und Investoren gewünscht.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Immobilienmarkt auch bei hoher Inflation und steigenden Zinsen attraktive Möglichkeiten für Investoren bietet. Allerdings verstärken das ökonomische und gesellschaftliche Umfeld sowie der Klimawandel die Polarisierung zwischen verschiedenen Marktsegmenten. Während bestimmte Bereiche unter nachlassender Nachfrage leiden werden, bleiben andere hoch im Kurs, teilweise sorgen Inflation und steigende Zinsen für eine Verknappung. Mieten und Kaufpreise kann das stabilisieren.

Dieser Artikel erschien in TIAM 03/2022.

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