PB3C News

2022 endet mit einem Immobilienboom, keinem Blasenknall

3. Okt 2022

Andre Schmöller  |  Domicil

Das Jahr 2022 ist am Immobilienmarkt scheinbar abgehakt. Ein Reinfall, glauben Branchenexperten und weite Teile der Öffentlichkeit. Der Ukraine-Krieg und die mit ihm verbundenen Folgen haben mehr als zehn Jahren Boom ein jähes Ende gesetzt. Der „Giftcocktail“ aus Wirtschaftskrise, Inflation und hohen Zinsen scheint dem Markt den Rest zu geben. Tatsächlich? Ich sage: Weit gefehlt! Wir werden zum Jahresende in weiten Teilen des Wohnimmobilienmarktes einen regelrechten Boom erleben. Der große Immobilienknall bleibt aus. Wieder einmal! Die Gründe dafür? Sie sind weniger überraschend, als es auf den ersten Blick wirkt.

Einwanderung verstärkt hohe Nachfrage
So ist unabhängig von der aktuellen Krise Wohnraum hierzulande weiterhin knapp, insbesondere bezahlbarer. Diese Situation wird sich durch die verstärkte Zuwanderung verschärfen. Und damit meine ich nicht nur die Geflüchteten aus der Ukraine, die hierzulande zum Teil heimisch werden. Zahlreiche Agenturen akquirieren emsig qualifizierte Pflegekräfte aus Asien. Die Initiative der Bundesregierung ‚Make IT in Germany‘ setzt alle Hebel in Bewegung, IT-Profis quer durch alle Berufssparten für den Standort Deutschland zu begeistern. Und der Digital-Branchenverband Bitkom frohlockt schon jetzt angesichts des Exodus der IT-Zunft aus Russland und Belarus. Genau diese Menschen – gut ausgebildete, zahlungsfähige Fachkräfte – werden im mittleren Wohnsegment eine neue Heimat suchen.

Das geschieht in einer Zeit, die mit sinkenden Preisen eine Trendwende markiert. Zahlen des Kreditvermittlers Interhyp deuten darauf hin, dass die Kaufpreise allein im August bundesweit um 0,8 % gefallen sind. Auch in den Monaten zuvor war der Preistrend vielerorts stagnierend bis rückläufig. Wobei die Korrekturen je nach Standort unterschiedlich ausfallen. Der Megatrend Urbanisierung ist nicht beendet. So steigen die Kaufpreise in Städten moderat weiter. Insgesamt aber flacht der Preistrend ab. Steigende Bauzinsen, Inflation und Energiekrise sind tatsächlich eine große Belastung.

Vielerorts sinkt die Nachfrage, weil potenzielle Eigentümer den Traum von den eigenen vier Wänden aus Kostengründen aufgeben müssen. Von Kaufpreisrückgängen von 30 % sprechen einige Crashpropheten. Dass es dazu wirklich kommt, bezweifle ich aber. Wer ursprünglich eine selbstgenutzte Immobilie kaufen wollte, der wird sie jetzt vielleicht lieber mieten. Allerdings ist das Angebot an Mietimmobilien begrenzt. So steigen die Mieten noch stärker. Anfangs nur in der Neuvermietung. Dann aber treiben sie über die Mietspiegel auch die Mieten im Bestand, weil Vermieter mehr Spielraum für Mieterhöhungen bekommen.

Der Markt steht still – noch
Auch dort ziehen die Preise dann also an. Für Mietverträge mit Indexklausel gilt das natürlich erst recht. An Grenzen stoßen die Mieten erst da, wo Mieter sich das Wohnen nicht mehr leisten können. Allerdings werden sich auch viele besserverdienende Menschen nun nach Wohnraum im bezahlbaren Segment umsehen – der Druck nimmt zu. Für private und institutionelle Investoren ist das eine spannende Entwicklung, zumal vorhandenes Kapital investiert werden muss, um nicht inflationsbedingt an Wert zu verlieren. Am Kapitalmarkt überwiegen die Risiken. Da bieten sich Immobilieninvestments, die im stark nachgefragten mittleren Segment solide Renditen erwirtschaften, geradezu an. Höhere Kaufpreise können durch steigende Mieten kompensiert und steigende Zahlungen für Kreditzinsen steuerlich geltend gemacht werden. Selbst wenn die am Markt gezahlten Verhältnisse von Kaufpreisen zu Mieten (auch Vervielfältiger oder Mietmultiplikatoren genannt) sinken, werden höhere Mieten den Gesamtwert der Immobilie stabilisieren. Anleger mit ausreichend Eigenkapital werden auch künftig bei Banken nicht auf Widerstände stoßen.

Fassen wir zusammen: Eine steigende Nachfrage aus einem großen und wachsenden Bevölkerungscluster der Mittelschicht trifft auf ein äußerst begrenztes Angebot. Projektentwicklungen verzögern sich aus Gründen wie Zinsanstieg und Materialknappheit, während die Kaufpreise aktuell bundesweit sinken. Die Zeiten, in denen die Preise nur eine Richtung kannten, scheinen vorbei. Das setzt die Branche unter Druck. Aus Angst vor weiter fallenden Preisen werden weniger Kaufentscheidungen getroffen. Was wir derzeit erleben, grenzt an einen Marktstillstand. Doch das wird sich ändern.

Es lohnt sich, die Gunst der Stunde zu nutzen
Ich bin der festen Überzeugung, dass bestehende, energieeffiziente Wohnanlagen in vernünftiger Lage und mit einem marktüblichem Mietniveau zum Jahresende wieder auf einem Preisniveau wie zu den Rekordständen von 2021 liegen werden. Keinesfalls darunter. Preisrückgänge mag es im Markt schon geben, aber bei gehobenen Immobilien sowie sanierungsbedürftigen Objekten in B- und C-Lagen. Für mich ist das eine Rückkehr des Profi-Marktes. Einfach irgendwas kaufen und auf die Wertsteigerung warten, das wird nicht mehr gehen. Es braucht wieder eine solide Objektprüfung und ein professionelles Management, um den Bestand und seinen Wert zu erhalten. Für Spekulanten, Hobbykäufer und beratungsresistente Kapitalanleger wird die Luft hingegen dünn.

Schon jetzt erlebe ich die Vorteile dieser neuen Lage. Verkäufer sind plötzlich wieder bereit, über Preise zu verhandeln. Es lohnt sich, die Gunst der Stunde zu nutzen. Auch wenn die Zinsen mittlerweile zwischen 2,5 % und 3,5 % rangieren, sind sie immer noch niedrig. Der Einstieg lohnt sich. Wer beim Erwerb einer vermieteten Immobilie zudem auf Basics wie marktgerechte Grundrisse, eine nachhaltige Heizungsanlage und nicht zuletzt die Lage achtet, hat beste Chancen, einen guten Schnitt zu machen. Denn irgendwann werden sich die Energiemärkte stabilisieren, wird die Inflation sinken, wird der Krieg vorbei sein. Dann werden das Kaufinteresse und mit ihm die Preise wieder steigen. Wer jetzt clever kauft, kann von der aktuellen Preisentwicklung profitieren. Wer hofft, dass er im nächsten Jahr gute Immobilienqualität günstig einkaufen kann – der sollte sich nicht täuschen. Das Gegenteil wird der Fall sein.

Dieser Artikel erschien am 28.9. in der WIRTSCHAFTSWOCHE.

Haben Sie Anmerkungen oder Fragen? Dann schreiben Sie an die Leiter unserer Redaktion Jan Döhler und Kai Gutacker.

UNSERE PANEL-EMPFEHLUNGEN FÜR DIE EXPO REAL 2022