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„Flucht in die Wohnimmobilie“

25. Mrz 2020

Jens R. Rautenberg  |  Conversio Gruppe

Vier Fragen an: Jens R. Rautenberg, Geschäftsführer der Conversio Gruppe.

Herr Rautenberg, wie hart wird die Immobilienwirtschaft durch das Corona-Virus langfristig getroffen?

Das kurz- bis langfristige Szenario für die deutsche Immobilienwirtschaft könnte eine V-förmige Entwicklung sein. Es würde demnach sehr steil nach unten gehen. Aber auch wieder verhältnismäßig schnell nach oben, wenn die Konjunkturprogramme und Unterstützungsmaßnahmen greifen. Nach Einschätzung von Bulwiengesa[1] wäre frühestens im zweiten Halbjahr 2020 mit einem konjunkturellen Schub zu rechnen. Ob dieser auch sofort die Immobilienwirtschaft erreicht oder zunächst andere Bereiche, ist schwer zu sagen. Ohnehin ist die Entwicklung so schnell, dass jede Einschätzung innerhalb von Tagen veraltet sein kann. Die Prognoseunsicherheiten hat auch Bulwiengesa ausdrücklich betont. Mir scheinen ein harter Absturz und ein schneller Aufstieg aber ebenfalls als realistisch.

Wie schlecht oder gut steht es um Wohnimmobilienprojekte?

Kurzfristig sieht es nicht gut aus. Neubauprojekte in frühen Planungsstadien, etwa im Bebauungsplanverfahren, werden sich verzögern, weil Verfahrensschritte wie Bürgerbeteiligungsverfahren oder Öffentlichkeitsarbeit durch das Kontaktverbot erschwert oder unmöglich werden. Und wenn der Bau schon läuft, könnten Bauarbeiter massenhaft ausfallen, sei es durch Quarantäne- oder sonstige Anordnungen oder schlicht, weil sie aus ihren Heimatländern nicht mehr einreisen dürfen. Die Fertigstellung verzögert sich also auch. Sorge habe ich derzeit vor allem um Bauträger, die verschiedene Projekte gleichzeitig realisieren und dadurch ihre Eigenkapitaldecke vielleicht etwas zu sehr gestreckt haben. Ich befürchte, wir werden zusätzliche, durch die Corona-Krise bedingte, Insolvenzen sehen, gerade weil auch einige Banken bereits ihre Kreditlinien gegenüber Bauträgern angesichts der Krise und entgegen ihrer Beteuerungen überprüfen und verschärfen.

Ist auch der Vertrieb von Wohnimmobilien betroffen?

Die gesamte Kette ist durch das eingeschränkte Sozialleben betroffen: Treffen sich die Menschen noch mit Ihrem Finanz- beziehungsweise Anlageberater oder Makler? Und wie unterschreibe ich einen Darlehensvertrag oder gebe meine Unterschrift beim Notar, wenn wir alle Kontakte meiden sollen? Wenn ich eine Wohnung besichtigen möchte, aber Flüge gestrichen sind, muss ich mit dem Zug oder Auto fahren – aber wenn die Hotels keine Gäste aufnehmen dürfen, wird mein Radius schon sehr eingeschränkt. Auch lehnen viele Mieter aktuell Besichtigungstermine ihrer Wohnung ab. Das betrifft dann sowohl die Kaufinteressenten als auch die Gutachter der Banken. Manches kann man natürlich digital auffangen, zum Beispiel Beratungsgespräche. Aber Selbstnutzer und Kapitalanleger haben jetzt wahrscheinlich einfach auch ganz andere Themen auf dem Tisch, als eine mögliche Eigentumswohnung zu erwerben. Viele Verkäufer, die jetzt warten können, werden wahrscheinlich einfach abwarten und die Entwicklungen beobachten. Wir alle haben derzeit keine klare Sicht; der Vertrieb wird sich in den nächsten Wochen deutlich schwerer tun, um Objekte an den Mann zu bringen.

Wie schätzen Sie das künftige Preisniveau ein? 

Viele Marktteilnehmer haben vor der Krise lange mit einer Seitwärtsbewegung auf dem bekannt hohen Niveau gerechnet. Jetzt könnten die Preise langfristig doch noch einmal ansteigen. Die allgemeine Unsicherheit wird viele Privatanleger aus Anlageformen wie Aktien herausdrängen. Dadurch und durch die weiter fallenden Zinsen könnte eine „neue“ Flucht in die Wohnimmobilien entstehen. Das sind allerdings mittel- bis langfristige Effekte, kurzfristig wird sich die Seitwärtsbewegung fortsetzen oder sogar eine Preisdelle bilden.

[1] https://blog.bulwiengesa.de/de/hintergrund/corona-krise-10-experten-statements