Ziehen und Schieben: Der Weg zu mehr Innovationskultur
22. Mrz 2020
22. Mrz 2020
Digitalisierung und Vernetzung haben schon so manchen Wirtschaftszweig in seinen Grundfesten erschüttert, angefangen von der Musik- über die Filmindustrie und das Verlagswesen bis zum Privatkundengeschäft der Banken und Sparkassen. Derzeit wird der Einzelhandel durchgerüttelt, als Nächstes – so viel ist absehbar – die Autoindustrie. Im Vergleich dazu scheint die Immobilienbranche in sich selbst zu ruhen. Zwar gibt es auch hier digitale Geschäftsmodelle und Innovationen, doch der große digitale Umbruch scheint weit entfernt. Offenbar fehlt der große Transformationsdruck von außen. Die Pull-Faktoren sind noch nicht stark genug. Der Branche geht es augenscheinlich zu gut. Solange dies so ist, sollten die Akteure vorsorglich die Push-Faktoren aktivieren. Denn auch die anhaltende Komfortphase wird einmal enden. Wer vorbereitet ist, wird klar im Vorteil sein.
Welche Pull-Faktoren aber werden den Transformationsdruck in der Immobilienbranche in Richtung Innovation und Digitalisierung vorantreiben? Für eine so heterogene Branche lässt sich diese Frage nicht pauschal mit konkreten Auslösern beantworten. In jedem Fall aber werden sie einer der Kategorien Regulierung, Wettbewerb, Kunden und Technologien zuzuordnen sein. In einem Teilbereich der Immobilienwirtschaft ist die Transformation schon relativ weit vorangeschritten: in der Immobilienfinanzierung. Dort lassen sich die Pull-Faktoren aus den vier Kategorien exemplarisch gut beobachten. Doch können andere Teilsektoren – beispielsweise Asset- und Investmentmanager – diese Entwicklung eins zu eins für sich kopieren?
In der Immobilienfinanzierung ist der Transformationsdruck bereits spürbar
Der Regulierungsdruck auf die Kreditinstitute steigt stetig. Dafür müssen in der Immobilienfinanzierung zwangsläufig innovative Lösungen gefunden werden. Zudem führen höhere Transparenzstandards zu größerer Vergleichbarkeit und Standardisierung der Angebote. Innovationen können dazu beitragen, mit dem eigenen Geschäftsmodell aus der Masse der Wettbewerber herauszustechen. Produktinnovationen ermöglichen mitunter sogar eine (zumeist temporäre) Monopolstellung. Auf dem Finanzierungsmarkt sind zudem immer mehr neue Anbieter zu finden, seien es bankfremde Akteure wie Versicherungen oder Kreditfonds, Anbieter von außerhalb Europas oder FinTechs und PropTechs. Im Vergleich zur klassischen Kreditwirtschaft sind ihre Marktanteile noch gering, aber steigend. Oftmals sind sie sehr schlank aufgestellt und spezialisiert auf ein eng zugeschnittenes innovatives Produkt, das zu transparenten und günstigen Konditionen angeboten wird. Die Kunden wiederum sind es aus anderen Bereichen des täglichen Lebens inzwischen gewohnt, dass ihnen Produkte und Dienstleistungen sehr schnell, transparent, flexibel und intuitiv bedienbar angeboten werden. Diese Erwartungshaltung setzt sich auch für Angebote der Immobilienfinanzierung zunehmend durch.
In den meisten Teilbereichen der Immobilienwirtschaft ist der Transformationsdruck noch nicht so weit ausgeprägt wie im Finanzierungsmarkt, der wegen seiner Überlappung mit dem Bankensektor eine Ausnahme darstellt. Der große Unterschied: Die meisten Sektoren der Immobilienbranche stehen (noch) nicht unter dem Druck solcher Pull-Faktoren. Sie müssen deshalb die Push-Faktoren stärken, um am Ball zu bleiben. Dazu genügt es nicht, nur finanzielle und personelle Ressourcen zu mobilisieren und Innovation von oben herab anzuordnen. Vielmehr bedarf es einer umfassenden Innovationskultur, die Transformationsbereitschaft und Experimentierfreude fördert und – bis zu einem gewissen Grad – auch Fehler toleriert.
Innovationsfähigkeit ist eine Querschnittsaufgabe
Das ist leichter gesagt als getan. Denn in den Unternehmen der Immobilienbranche gibt es etliche Arbeitsbereiche, in denen absolute Präzision und Zuverlässigkeit gefragt sind und eine Null-Fehler-Toleranz herrscht. Umso wichtiger ist es, an den richtigen Stellen Freiräume für Innovationskultur und barrierefreies Denken zu schaffen. Eine Orientierungsgröße stellen dabei die Eigenschaften und Talente der Mitarbeiter dar. Vereinfacht gesagt gibt es die Typen Controller, Manager und Enabler. Diese Aufteilung ist natürlich nicht zu 100 % trennscharf, es gibt Anteile davon in jedem von uns. Aber sie sind unterschiedlich ausgeprägt und es sind vor allem die Enabler, die Ideen in die Tat umsetzen und Freiräume für Innovationen schaffen. Letztendlich geht es dabei um eine Mentalitätsfrage – bei den einzelnen Mitarbeitern und in der Unternehmenskultur als Ganzes.
Dabei sollten keinesfalls einzelne Mitarbeiter zu Innovations- oder Digitalisierungsministern erklärt und das Thema von allen anderen ferngehalten werden. Innovationsfähigkeit ist kein Stoff für Silodenken, sondern eine Querschnittsaufgabe, die alles und jeden im Unternehmen betrifft, auch jene Teile, deren Alltagsgeschäft hauptsächlich von Präzision und Routine geprägt ist. Die Herausforderung lautet, alle Mitarbeiter auf dem Weg zu mehr Innovation mitzunehmen und davon zu überzeugen, dass Innovation und Versuchskultur unverzichtbar sind, um die Wettbewerbsfähigkeit und Zukunftsfähigkeit des Unternehmens dauerhaft zu sichern. Mit dieser Aufgabe kann man schon beginnen, auch wenn der Druck von außen noch relativ gering erscheinen mag.