PB3C News

Ein neues Zeitalter des Investierens

22. Nov 2020

Tobias Huzarski  |  Commerz Real

„Was wir heute tun, entscheidet darüber, wie die Welt morgen aussieht“, schrieb Maria Ebner-Eschenbach im 19. Jahrhundert, also zu einer Zeit, in der Wind- und Wasserkraft die wesentlichen Energiequellen waren. Die ‚Welt von morgen‘ war die industrialisierte Welt, getrieben von fossilen Brennstoffen. Die Industrialisierung war eine Epoche, in der die Verzahnung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenausnutzung derart schnell voranschritt, dass die ökologische Nachhaltigkeit und das Wachstum der Wirtschaft voneinander entkoppelt wurden. Das dahinterstehende Ideal hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte umgekehrt – Nachhaltigkeit wird heute nicht nur als „Partner“ des wirtschaftlichen Wachstums erachtet, sondern gilt als Voraussetzung für Wettbewerbsfähigkeit. So ist für das Europäische Parlament der „Übergang zu einer CO2-armen, nachhaltigen, ressourceneffizienten Kreislaufwirtschaft für die Sicherung der langfristigen Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft von zentraler Bedeutung“.

Wie schaffen wir es, dass das Ideal der Nachhaltigkeit Realität wird? Woran kann sich die Wirtschaft und vor allem die Finanzwirtschaft orientieren, will sie die Idee der Nachhaltigkeit umzusetzen? Die Antwort kommt aus der Mitte der Gesellschaft: als Wunsch nach Authentizität – also des Wunsches nach ‚Echtheit‘. Genau hier setzt das Impact Investment, das wirkungsorientierte Investieren, an. Über 80 % der Anleger investieren einer Umfrage zufolge derzeit noch nicht in ökologisch nachhaltige Geldanlagen. Gleichzeitig investierten zwei Drittel aller Anleger bei entsprechender Rendite in Geldanlageprodukte, die einen „aktiven und messbaren“ Beitrag zur Förderung des Klimaschutzes leisteten. Wenn aber 80 % der Menschen solche Produkte nicht kennen, scheint es eine signifikante Lücke zwischen dem Wunsch von Anlegern nach authentischer Nachhaltigkeit auf der einen Seite und dem Mangel an Finanzlösungen mit aktivem und messbarem Klimaschutzbeitrag auf der anderen Seite zu geben. Diese Lücke schließt das Impact Investment.

Man könnte den Eindruck gewinnen, dass bereits heute die ganze Kraft des Kapitals und Vermögens auf Nachhaltigkeit ausgerichtet ist und es daher keine Notwendigkeit für ein „neues Zeitalter des Investierens“ gibt. Beispielsweise lesen wir in der Global Sustainable Investment Review (2019) der Global Sustainable Investment Alliance, dass 49 % des verwalteten Vermögens in Europa auf Nachhaltigkeit basierten, mit jährlichen Wachstumsraten für nachhaltiges Investieren von beachtlichen 6 % in Europa, 16 % in den USA und 308 % in Japan. Wie kommen diese Zahlen zustande? Dadurch, dass sogenanntes ‚nachhaltiges Investieren‘ eine ganze Reihe von Investmentphilosophien, Instrumentarien und Methoden einschließt, Nachhaltigkeit also ein breites Spektrum abbildet. Allerdings gilt: Grün ist nicht gleich grün.

Am einen Ende des Nachhaltigkeitsspektrums liegen Investmentansätze, die mit Ausschlusskriterien agieren, auch bekannt als Negativ- oder Exklusionskriterien. Hier ist das meiste Kapital investiert, hier findet sich die Geburtsstunde des nachhaltigen Investierens. Unter diese Kriterien fallen laut der Global Sustainable Investment Review über 40 % der nachhaltigen Geldanlagen in Europa. Die Methodik: Fonds, die mit (selbst‑)bestimmten Exklusionskriterien arbeiten, schließen bestimmte Investitionen, Unternehmen oder Branchen aus, beispielsweise Rüstungsgüter, Tabak oder Erdölförderung. Der Rest des Anlageuniversums gilt als nachhaltig, gemessen an definierten Ausschlusskriterien.

Am anderen Ende des Nachhaltigkeitsspektrums liegt Impact Investment. Die Bundesinitiative Impact Investing beschreibt es als Investmentansatz, bei dem die „positive soziale oder ökologische Wirkung direkt, intendiert und nachweisbar“ sei. Direktheit, Intention und Nachweisbarkeit verschmelzen so zu einem Investmentansatz, mit dem aktiv und lösungsorientiert positive ökologische Wirkung erzielt werden soll. Impact geht also in mehrerlei Hinsicht über Ausschlusskriterien weit hinaus:

Erstens wird ein Bezug zur Realwirtschaft hergestellt. Beispielsweise wird der Klimawandel durch CO2 und andere Treibhausgase verursacht. Um dieses physische Problem in der „realen“ Welt anzugehen, muss auch die Lösung in der „realen“ Welt verhaftet sein, beispielsweise in Form von Projekten zur Erzeugung erneuerbarer Energien in Wind- oder Solarparks, die durch die CO2-Vermeidung einen Beitrag zur Abschwächung des Klimawandels leisten. Zweitens fließt das Kapital des Anlegers auch tatsächlich in konkrete Projekt. Es ist nämlich nicht unerheblich, ob und wie Kapitalflüsse letztlich in realwirtschaftliche Aktivitäten münden oder ob sie im Orbit der Finanzwirtschaft verbleiben. Das Motto „Follow the money“ wird somit ergänzt durch „Follow the impact“. Dabei ist die Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärmarkt wichtig: Fließt das Kapital des Anlegers beispielsweise an den Vorbesitzer der Anteile, wie beim Kauf von Anteilen an nachhaltigen ETFs an der Börse, oder wird es für Neuinvestitionen wirkungsorientiert so eingesetzt, dass damit konkrete soziale oder ökologische Projekte umgesetzt werden? Drittens geht es um eine konkrete Zielsetzung. Impact Investments wollen eine positive Wirkung auf beispielsweise gesellschaftlicher oder ökologischer Ebene erzielen. Bezüglich letzterer hat die EU im Rahmen des europäischen Green Deals klare Ziele formuliert. Hierzu gehören der Klimaschutz, der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft oder die Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme. Wirkungsorientiertes Investieren kann hier ansetzen und Leistungen und Outcomes definieren, beispielsweise eine bestimmte Menge an Ökostrom, die auf diese Umweltziele hinwirken. Dabei gilt bei Impact Investments das „Do no significant harm“-Prinzip: Bei der Erreichung eines Ziels, beispielsweise Klimaschutz, darf ein anderes Ziel, beispielsweise Biodiversität, nicht signifikant beeinträchtigt werden. Viertens geht es um die Darstellung der Wirkung gegenüber dem Anleger. Impact Investment verbindet finanzielle Rendite mit ökologischer oder sozialer Nachhaltigkeit. Dazu gehört, für den Anleger transparent zu machen, ob und wie diese Wirkung erzielt wird. Hierzu kann beispielsweise das Reporting zur CO2-Vermeidung gehören oder zur Menge an produziertem Ökostrom.

Im Zusammenspiel eröffnen diese vier Dimensionen des Impact Investments ein neues Zeitalter des Investierens. Was ist damit gemeint? Betrachten wir die Finanzgeschichte der letzten Jahrhunderte, so lässt sich grob in drei Phasen unterteilen. Im ‚Investment 1.0‘ des 19. Jahrhunderts waren Investoren recht eindimensional auf Gewinn fokussiert. Im ‚Investment 2.0‘ des 20. Jahrhunderts gewann Risikobetrachtung an Bedeutung: Wann wird Gewinn erwirtschaftet (Zeitwert des Geldes um 1900)? Wie liquide und fungibel sind Investitionen? Wie viel Volatilität ist mit Investitionen verknüpft (Sharpe Ratio, 1966)? In beiden Phasen wird das Investieren vor allem unter quantitativen Gesichtspunkten betrachtet. Impact Investment ist somit ein Zeitalter des Investierens, in dem qualitative Gesichtspunkte in Investmententscheidungen einbezogen werden: die Qualität unserer Luft, unserer Städte und Ökosysteme.

Damit kann Impact Investment eine signifikante Hebelwirkung bei der Lösung gesellschaftlicher und ökologischer Herausforderungen erzeugen, wie am Beispiel des Klimawandels und der Energiewende deutlich wird. So sieht der europäische ‚Green Deal‘ laut EU-Kommission einen zusätzlichen Finanzierungsbedarf von 260 Mrd. Euro pro Jahr vor, um Europa auf den Pfad der Klimaneutralität zu bringen. Gleichzeitig gibt es allein in Deutschland über 2.600 Mrd. Euro an Spareinlagen, in einem Umfeld, in dem Privatanleger sich vermehrt finanzielle Rendite und ökologische Wirkung wünschen, um Kapital nachhaltig und möglichst in Form eines aktiven und messbaren Beitrags anzulegen. Schlägt Impact Investment diese Brücke, kann es stark beeinflussen, wie ‚die Welt von morgen aussieht‘: Eine Welt, in der Wind- und Wasserkraft wieder auf dem Weg sind, die wesentlichen Energiequellen zu werden. Maria Ebner-Eschenbach würde sich vermutlich in dieser Welt wie zu Hause fühlen.

Dieser Artikel erschien am 19.11. in der BÖRSEN-ZEITUNG SPEZIAL.