Büroleerstand in Berlin – für wen jetzt ein günstiger Zeitpunkt für einen Umzug ist
14. Jun 2024
14. Jun 2024
Der Leerstand im Berliner Büroimmobilienmarkt ist hoch, die Mietpreise in einigen Lagen fallen. Unternehmen, die sich räumlich verändern wollen, bietet sich jetzt eine gute Gelegenheit. Denn auch jenseits von Kostenvorteilen spricht aktuell viel für einen Umzug. Welche Chancen ergeben sich aus einem solchen Schritt?
Die Leerstandsquote von Büroimmobilien ist 2023 in Berlin im Durchschnitt auf 5,7 Prozent gestiegen. Im Jahr zuvor waren es noch 3,4 Prozent. Nicht darin erfasst sind die Flächen, die insbesondere von Großunternehmen derzeit verstärkt zur Untervermietung angeboten werden – ein weiterer Indikator für die Tendenz zum Leerstand. Diese Entwicklungen haben Auswirkungen auf die Mietpreise. So belief sich die durchschnittliche Miete für ganz Berlin auf 28,60 Euro pro Quadratmeter und damit 50 Cent unter dem Wert des Vorjahres. Immobilien an beliebten Standorten indes blieben vom Anstieg des Leerstands weitgehend unberührt. Infolgedessen verharrten dort die Spitzenmieten mit 45,00 Euro pro Quadratmeter auf demselben Niveau wie 2022.
Vom Leerstand profitieren also insbesondere Unternehmen, die nicht auf Top-Bürolagen angewiesen sind. Gerade kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) finden derzeit günstige Voraussetzungen für einen Umzug vor, denn ihre Position in Verhandlungen wird dadurch gestärkt. Eine kürzere Vertragslaufzeit und Incentives, wie etwa mietfreie Zeiten bzw. Zuschüsse zu Bau- oder Umzugskosten, sind in einem sich in einigen Bürolagen abzeichnenden Mietermarkt leichter durchsetzbar. Solche Anreize können die Anfangsinvestition für den Umzug und die Einrichtung neuer Büros erheblich reduzieren, was gerade für finanziell sensiblere KMU von großem Nutzen ist.
ESG-Standards
Doch es gibt noch weitere werttreibende Kräfte, die den Wechsel der Räumlichkeiten aktuell attraktiv machen. Denn ESG-konforme (Environmental, Social, Governance) Büroräume werden für Unternehmen zunehmend bedeutender. Neue Büroflächen auf dem neuesten Stand der Energietechnik sind die Gelegenheit, wesentliche Nachhaltigkeitspraktiken zu implementieren. Und das nicht nur, weil sich durch energieeffiziente Gebäude Nebenkosten signifikant reduzieren und die eingesparten Mittel in Mitarbeiterentwicklung, Technologie oder Produktinnovation fließen können. Die Anmietung einer Immobilie, die nicht den ESG-Standards entspricht, kann für Unternehmen beträchtliche Nachteile in der näheren Zukunft nach sich ziehen. Sie kann das öffentliche Bild eines Unternehmens schädigen, besonders wenn es sich selbst als nachhaltig positioniert. Investoren, Kunden und andere Stakeholder, die Wert auf ökologische Standards legen, könnten ihre Beziehungen zu einem Unternehmen überdenken, das in einer nicht konformen Immobilie tätig ist. Und schließlich werden Unternehmen in nicht ESG-gerechten Gebäuden es schwerer haben, Talente zu rekrutieren, die ebenfalls zunehmend Wert auf Ökologie am Arbeitsplatz legen.
Der Run auf ESG-kompatible Immobilien wird zweifelsohne immer stärker werden – und der Markt die Nachfrage kaum befriedigen können. Auch wenn es bislang keine Erhebung zur genauen Anzahl der energieineffizienten Büroimmobilien in Deutschland gibt, lässt eine andere Zahl das Ausmaß des künftigen Bedarfs deutlich erkennen: Die Deutsche Energie-Agentur dena beziffert den Anteil von Bürogebäuden, die vor dem Inkrafttreten der 1. Wärmschutzverordnung 1978 hierzulande entstanden, auf 64 Prozent. Das sind 53 Prozent der Nutzfläche. Wenn Energieeffizienz immer mehr zum Standard für Büroflächen wird – und es gibt kein ernsthaftes Zukunftsszenario, in dem sie es nicht sein wird –, sollten Unternehmen sich so früh wie möglich um solche Räumlichkeiten bemühen, bevor die Nachfrage in die Höhe schnellt.
Anpassung an moderne Arbeitswelten
Es gibt noch einen anderen großen Treiber, der den Wechsel in neue Büroräume sinnvoll machen kann: Die Arbeitswelt ändert sich und damit auch die Ansprüche an die Räumlichkeiten. Das Großraumbüro verliert zunehmend an Attraktivität. Das liegt zum einen an den Erfahrungen in der COVID-19-Pandemie, die gesundheitliche Aspekte der Arbeitsumgebung stärker in den Fokus rückten. Denn je mehr Menschen eine Fläche gemeinsam nutzen, desto leichter übertragen sich Krankheiten.
Moderne Büroräume kombinieren offene, flexibel nutzbare Bereiche mit geschlossenen Räumen mit festen Arbeitsplätzen. Damit wird nicht nur die physische Gesundheit der Mitarbeiter gefördert, sondern auch ihr mentales Wohlergehen und ihre Produktivität. Denn dadurch gibt es sowohl Rückzugsorte für konzentriertes Arbeiten als auch Bereiche für den spontanen Austausch und die effektive Zusammenarbeit.
Zudem integrieren moderne Büroflächen „Third Spaces“, ein Begriff, der Ende des 20. Jahrhunderts vom Soziologen Ray Oldenburg geprägt wurde. Er bezeichnete damit Räume, die weder dem Zuhause noch dem klassischen Arbeitsplatz zuzuordnen sind und informelle Begegnungen fördern sollen. Die Idee, solche Begegnungsstätten zu schaffen, setzt sich immer stärker in der modernen Arbeitsplatzgestaltung durch. Sie sind gewissermaßen die Weiterentwicklung der Tischtennis-Lounge, die zu einem Synonym der neuen Arbeitskultur in jungen Unternehmen geworden ist, und stehen für eine Büroarchitektur, die auch Räume zum Stressabbau und zur Förderung zwischenmenschlicher Kontakte bereitstellt. Indem Unternehmen ihren Mitarbeitern solche Orte in Gestalt von Dachterrassen, Lounges, Cafés, Spiel-, Sport- oder Unterhaltungsbereichen anbieten, motivieren sie ihre Angestellten zum Weg ins Büro, das so zu mehr wird als nur einem Arbeitsplatz. „Third Spaces“ spielen eine zentrale Rolle bei der Förderung sozialer und emotionaler Verbindungen. Sie helfen, einem Verlust des Gemeinschaftssinns und mangelnder Identifikation mit dem Unternehmen entgegenzuwirken, den Kehrseiten der viel beschworenen neuen Arbeitswelt, in der das Arbeiten jenseits des Büros und fern von Kollegen zum „New Normal“ geworden ist.
Das Zeitfenster nutzen
Der Berliner Büroflächenmarkt bietet aktuell insbesondere KMU die Chance auf neue Arbeitsumgebungen, die konventionelle Büroräume meist nicht bieten können. Ein Umzug bietet also nicht nur die Möglichkeit, nachhaltiger zu agieren. Er eröffnet auch die große Chance, Produktivität, Mitarbeiterzufriedenheit und ihre Bindung an das Unternehmen zu verstärken – und das zu Marktbedingungen, die derzeit so günstig sind wie lange nicht mehr. Nun gilt es, sie zu nutzen, bevor sich das Zeitfenster schließt.
Dieser Artikel erschien am 10.06.2024 im Tagesspiegel.
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