PB3C News

Das S entscheidet über den Erfolg

11. Sep 2022

Stefan Höglmaier  |  Euroboden

Nicht erst seit der Corona-Pandemie wissen wir, wie wichtig das individuelle Ökosystem von Beziehungen und Interaktionen für die emotionale und physische Gesundheit jeder einzelnen Person ist. Dieses soziale Miteinander zu bewahren und zu fördern, muss sich auch in den Menschen und der ihren Bedürfnissen zugewandten Architektur und Stadtplanung widerspiegeln. In diesem Zusammenhang ist auch die sich gerade markant verändernde Gewichtung des Dreiklangs aus E, S und G zu verstehen: Während bei ESG (Environment, Social, Governance) bislang das E für ein ökologisch-nachhaltiges Wirtschaften in der Branche den Schwerpunkt gebildet hat, gerät zusehends die „soziale Frage“ in den Fokus der Share- und vor allem Stakeholder, der Gesellschaft und der Politik.

Die Bedeutung des S, also sozialer Kriterien, für Investmententscheidungen steigt, was auch am Boom bei Nachhaltigkeitsanleihen abzulesen ist, bei denen mindestens die Hälfte der Erlöse in soziale Projekte fließt. Weitere Beispiele belegen das Interesse am sogenannten Impact Investing und an Immobilienprojekten, die auch der „sozialen Rendite“ verpflichtet sind. Darauf weisen auch Studien hin – wie jüngst vom Global Impact Investing Network. Gut so. Denn Immobilienunternehmen, die auch in Zukunft erfolgreich agieren wollen, müssen ihre Strategie auf eine langfristig nachhaltige Perspektive ausrichten, die selbstverständlich eine gesellschaftliche Verantwortung einschließt. Unternehmen, Anleger, Käufer und Mieter bilden dabei eine Wertegemeinschaft, in der jeder seinen Beitrag zu leisten hat. Nur: Wie kann eine auch an der Gemeinschaft orientierte „soziale Rendite“ konkret ausgestaltet sein? Immobilieninvestoren im Schulterschluss mit Kommunen wie der Stadt München zeigen Voraussicht. So wird in der bayerischen Landeshauptstadt, die exemplarisch für enorm hohe Kaufpreise und Mieten steht, nun die Idee verwirklicht, den wirtschaftlichen Nutzen eines Immobilienprojekts mit einem gesellschaftlichen Aspekt zu verbinden. Die Situation in München-Schwabing ist besonders eklatant: Beim Wohnungskauf fallen Quadratmeterpreise von 15.000 Euro bis teilweise 20.000 Euro an. Wer mieten möchte, muss 20 Euro und mehr pro Quadratmeter berappen. Ganz zu schweigen von der zweiten Miete, also den aktuell rasant steigenden Nebenkosten, die in der Kombination für viele das Wohnen in Innenstadtlagen unbezahlbar machen.

Es gibt aber Vermieter, die diese Mieten nicht ausreizen möchten. Etwa, weil sie hohe Fluktuation, die immer auch kostspielig ist, vermeiden wollen. Unter dem Aspekt Personalmangel benötigen darüber hinaus Unternehmen zunehmend Wohnraum für ihre (potenziellen) Mitarbeiter. Vor diesem Hintergrund hat die bayerische Landeshauptstadt in einem umgekehrten Bieterverfahren beim „Haus für München“ nicht dem Meistbietenden das Projekt in die Hände gelegt, sondern Entwicklern, die es schaffen können, bezahlbare Wohnungen anzubieten, ohne die Qualität zu vernachlässigen. So entstehen bei dem Projekt in bester Lage Wohnungen zum Mietpreis von 9,99 Euro/qm. 60 % der Wohnungen sind dabei für Menschen reserviert, die eine essenzielle Rolle für die Stadt München spielen und beispielsweise mit ihrer Tätigkeit in der Feuerwehr, der Kita oder als Pflegekraft täglich eine bedeutende Arbeit leisten. Die restlichen 40 % werden der gesamten Münchner Bevölkerung offenstehen.

Bekanntlich gibt es keinen „free lunch“, irgendwer muss die Rechnung bezahlen. Und ihren Anlegern verpflichtete Investoren können nicht freiwillig oder aus Großherzigkeit auf Renditepunkte verzichten. Die Rechnung bei der sozialen Rendite folgt indes einem anderen Kalkül: Wenn die Entwicklungskosten nur halb so groß ausfallen wie bei einem Vergleichsprojekt, dann läuft eine halb so hohe Miete letztlich auf dieselbe Rendite hinaus. Der Stadt München gebührt Lob für dieses umgekehrte Bieterverfahren. Sie nutzt dieses innovative Modell, um dringend benötigten Wohnraum zu schaffen. Die Landeshauptstadt bedient sich der Immobilienwirtschaft, um das beste städtebauliche Konzept und die günstigste Miete in Einklang zu bringen. Freilich entgeht ihr durch das umgekehrte Bieterverfahren der Höchstpreis, der sonst mit einem Grundstück zu erzielen wäre. Was aber wiegt schwerer? Wenn es keine erschwinglichen Wohnungen in der Stadt gibt, dann finden wir auch kein Krankenhauspersonal, Kindergärtnerinnen, Feuerwehrleute oder Polizisten für unsere Kommunen. Hier ergibt sich soziale Rendite durch die Übernahme politischer Verantwortung in Form eines gesellschaftlichen Nutzens.

Das Projekt ist aber nur eines von immer mehr Beispielen, wie auch Investoren gefordert sind, ihre Ziele zu überdenken und Mietsicherheit sowie soziale Verantwortung vor Renditemaximierung zu stellen. Die Immobilienwirtschaft agiert nicht in einem gesellschaftlich luftleeren Raum. Investitionsentscheidungen werden durch die aktuell massiven sozialen Veränderungsprozesse enorm beeinflusst. Und das auch schon im ganz Pragmatischen: Immer mehr Vermieter wollen sicher – und das heißt sozial und nachhaltig – investieren. Etwa Genossenschaften oder zunehmend Arbeitgeber, die es unter dem Aspekt Employer Branding Arbeitnehmern und ihren Familien ermöglichen wollen, auch in Innenstadtlagen oder in deren Nähe zu wohnen. Für die Erhaltung und Pflege des sozialen Miteinanders – gerade in den Metropolen – wird dieser Ansatz von entscheidender Bedeutung sein.

Dieser Artikel erschien am 2.9. in der FAZ.

Haben Sie Anmerkungen oder Fragen? Dann schreiben Sie an die Leiter unserer Redaktion Jan Döhler und Kai Gutacker.