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Zweifel an „Bauen, bauen, bauen“

31. Jan 2021

Jürgen Michael Schick  |  IVD

Bauen, bauen, bauen – das ist seit Jahren das Mantra sowohl der Wohnungspolitik als auch der Wohnungswirtschaft. Im vergangenen Jahrzehnt prägten ein massiver Wohnraummangel und in der Folge ein deutlicher Preisanstieg den Wohnungsmarkt. Auf die Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage wurde richtigerweise mit einer kräftigen Zunahme des Wohnungsbaus reagiert. Politik und Wirtschaft stellten hierfür erfolgreich die Weichen. Es ist jedoch langsam an der Zeit, sich zu fragen, ob eine weitere flächendeckende Beschleunigung des Wohnungsbaus gerechtfertigt ist – oder ob das Tempo in bestimmten Märkten nicht sogar reduziert werden sollte.

Zwar könnte man meinen, dass zu viel Angebot immer noch besser sei als zu wenig, aber in Wahrheit ist beides nicht gut. Wir haben in den neunziger Jahren bereits Erfahrungen mit einem Zuviel an Wohnungsbau gemacht, und das war für viele Regionen ausgesprochen schädlich. Zunehmende Leerstände bedeuten außerdem höhere Kosten und sinkende Einnahmen für Kommunen, Eigentümer und Projektentwickler, was einen beträchtlichen Rückgang der Investitionen in den Gebäudebestand nach sich ziehen würde und etwa für den Klimaschutz fatal wäre.

Anstieg der Kaufpreise taugt nur bedingt als Maßstab
Auf den ersten Blick mag diese Befürchtung absurd erscheinen. Steigen die Wohnungspreise nicht weiter? Und sollten bis Ende 2021 nicht 1,5 Mio. neue Wohnungen errichtet werden, also 375.000 pro Jahr? Tatsächlich fertiggestellt wurden 2018 und 2019 jeweils weniger als 300.000 Wohnungen. Das Ziel von 1,5 Mio. neuen Wohnungen binnen vier Jahren war von Anfang an unerreichbar. Es wurde so hoch gesteckt, um zu verdeutlichen, dass alle Stellschrauben angezogen werden müssen, um den Wohnungsbau zu stärken. Die Frage, ob in der Praxis genug, zu viel oder zu wenig gebaut wird, hat nichts mit dieser theoretischen Zielmarke zu tun.

Ist die Preisentwicklung ein guter Indikator? Tatsächlich steigen die Kaufpreise trotz der Corona-Krise weiter. In der Krise ist aus zwei Gründen viel Kapital in den Wohnsektor geflossen: Erstens ist die Ertragslage dort aktuell viel stabiler als im Gewerbesektor. Zweitens hat die Corona-Krise für eine anhaltende Niedrigzinspolitik gesorgt, weshalb gerade institutionelle Investoren praktisch gezwungen sind, in Immobilien zu investieren. Der Anstieg der Kaufpreise taugt daher nur bedingt als Anhaltspunkt für die Frage, wie viel Wohnungsbau noch nötig ist.

Ein besserer Maßstab ist die Mietpreisentwicklung, die das Verhältnis zwischen Wohnraumnachfrage und -angebot klarer widerspiegelt. Seit einiger Zeit verlangsamt sich der Mietenanstieg. Zwischen 2019 und 2020 sind die Mieten für Bestandswohnungen dem Wohnpreisspiegel des Immobilienverbands IVD zufolge bundesweit im Schnitt nur noch um 2,6 % gestiegen – das ist der niedrigste Anstieg seit zehn Jahren. Dieser Trend zeigt sich nicht nur in ländlichen Regionen: In den sechs größten deutschen Städten (ohne Berlin, da in der Hauptstadt wegen des Mietendeckels keine Bewertung möglich ist) stiegen die Mietpreise für Bestandswohnungen gerade mal um 1,4 %. Demselben Trend folgen die Mieten für Neubauwohnungen, die sich bundesweit um 3 % (Vorjahr: 3,3 %) und in den sechs größten Städten außer Berlin um 2,3 % (Vorjahr: 3,2 %) verteuerten.

Die schon vor Corona nachlassende Mietpreisdynamik mag zum Teil mit verschärften Regulierungen zusammenhängen, etwa mit der Mietpreisbremse. Diese Erklärung reicht aber nicht aus, um auch den geringen Anstieg bei Neubauwohnungen zu begründen – für sie gelten die meisten Regulierungen schließlich nicht. Der Hauptgrund ist daher nicht die Regulierungspolitik, sondern die Zunahme des Wohnungsbaus, die den Wohnraummangel spürbar abgeschwächt hat. Die Zahl der jährlich fertiggestellten Wohnungen hat sich zwischen 2010 und 2019 fast verdoppelt. Und weil auch die Zahl der Baugenehmigungen zugelegt hat, dürfte sich das Fertigstellungsvolumen kaum abschwächen – der Bauüberhang, also die Zahl der genehmigten, aber noch nicht fertiggestellten Wohnungen, betrug 2019 insgesamt 740.400 Einheiten.

Der Wohnungsmarkt reagiert vergleichsweise träge
Ob wir so viele zusätzliche Wohnungen benötigen, gerät immer mehr in Zweifel. Um all die Wohnungen, die in den kommenden Jahren gebaut werden, zu belegen, ist Deutschland auf Zuwanderung angewiesen. Die Zuwanderung lässt aber seit Jahren nach. Damit man mich nicht falsch versteht: Dass die Mietpreise langsamer ansteigen, ist ein gutes Zeichen. Es zeigt, dass sich der Mietwohnungsmarkt in vielen Regionen entspannt hat, was nicht wieder rückgängig gemacht werden sollte. Nun gilt es lediglich, bei der Bereitstellung weiteren Angebots die richtige Balance zu finden. Denn der Wohnungsmarkt, beziehungsweise vor allem der Wohnungsbau, reagiert vergleichsweise träge auf äußere Faktoren. Entscheidungen, die heute getroffen werden, zeitigen oftmals erst nach Jahren spürbare Effekte. Die Situation ist vergleichbar mit einem Tanker, der schon Kilometer vor seinem Ziel seine Fahrt reduzieren muss. Beim Wohnungsbau ist keine Vollbremsung nötig, aber ein vorsichtiges Neujustieren der Geschwindigkeit ganz bestimmt.

Dieser Artikel erschien am 15.1. in der FAZ.